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Stadtprojektionen: Kunst statt Konsum
In St.Gallen hat es zu wenig Kunst im öffentlichen Raum. Davon sind Nina Keel und Anna Vetsch überzeugt. Mit ihren temporären Kunstprojektionen schaffen sie Abhilfe – nochmal heute abend. Christina Genova berichtet.

Sebastian Stadlers Kreiselfahrten an der Corso-Fassade.
Der Mond ist aufgegangen. An einer unscheinbaren Fassade an der Augustinergasse – einer stillen Altstadtgasse, die selbst langjährige Bewohner der Stadt St.Gallen wohl kaum je betreten haben. Es ist einer der zahlreichen Momente voller Poesie, welche das Kunstprojekt «stadtprojektionen» beschert. Sieben Künstler zeigen nur noch heute ab 18 Uhr bis um Mitternacht neun Projektionen – Fotos, Filme, Text – an St.Galler Hauswänden.
Der Mond ist eines von mehreren Filmstills aus Eric Rohmers «Les nuits de la pleine lune», welche die Künstlerin Jiajia Zhang mit eigenen Fotos ergänzt hat, Innenräume und Aussenräume sind zu sehen. Die rauhe Fassade lässt die Bilder körnig wirken. Die zwischen zwei Fenster platzierte Projektion wirkt wie ein drittes Fenster in der Wand. Mit einer zweiten Arbeit ist Zhang an der Zwinglistrasse vertreten.
«St.Gallen hat Nachholbedarf»
Hinter den «stadtprojektionen» stecken die beiden jungen St.Galler Kunsthistorikerinnen Nina Keel und Anna Vetsch. Sie wollen mit ihrer temporären Kunstaktion zum Nachdenken über den öffentlichen Raum anregen. «St.Gallen hat in Bezug auf Kunst im öffentlichen Raum Nachholbedarf. Unser Projekt soll dagegen wirken», sagt Anna Vetsch.
Viele der Projektionen erlauben es, unbekannte Orte zu entdecken. Zum Beispiel die Glockengasse 4a, im Hinterhof gegenüber dem ehemaligen Kino Corso. Dort fand gestern Abend im Restaurant Deportivo Español, wo sich sonst Spanier gemeinsam Fussballspiele schauen, die sehr gut besuchte Vernissage statt.
Aussen, an der Backsteinfassade des Gebäudes, sind Fotos der Vorarlberger Künstlerin Katharina Fitz zu sehen. Sie zeigen Backsteingebäude aus der noch nicht abgeschlossenen Serie «Boarded-up houses» mit verlassenen Arbeiterhäusern aus Städten wie Nottingham und Manchester – ein stimmiger Dialog zwischen Wand und Projektion entsteht. Die heruntergekommenen Fassaden mit ihren zugenagelten Fenstern und Türen erzählen vom Niedergang der einst stolzen Industriestädte. Sie erinnern an die Fotoarbeiten von Bernd und Hilla Becher und daran, dass sich die Nutzung der Innenstädte auch bei uns in ständigem Wandel befindet.
In der St.Galler Altstadt stehen zwar keine Wohnhäuser leer aber dafür mehrere Ladenlokale. Die hohen Mieten können sich häufig nur noch internationalen Ketten leisten, ausserdem bestellen immer mehr Leute im Internet oder kaufen in den Einkaufszentren am Stadtrand ein. Die Kunstprojektionen erlauben es, die Stadt für einmal nicht nur als Konsumzone zu sehen.
Über der Schaufensterfront eines kürzlich neu eröffneten Kosmetikgeschäfts ist eine Textarbeit von Yelisaveta Staehlin zu lesen: «Berühren heisst nicht, dass man auch berührt». Sie lenkt den Blick auf die Sandsteinreliefs der Jugendstilfassade, für welche die geschäftigen Passanten sonst keine Augen haben.
Etwa eine Stunde braucht man, um alle neun Projektionen zu besichtigen, die sich – mit Ausnahme der Arbeit von Stefan Indlekofer am Spanischen Klubhaus – alle in der Innenstadt befinden. Mit ihrer temporären Kunst haben Nina Keel und Anna Vetsch einen Nerv getroffen. Zu hoffen ist, dass es nächstes Jahr eine Fortsetzung gibt.
Führung 1: Start: 19 Uhr / Treffpunkt: Klubhausstrasse 3
Führung 2: Start: 21.30 Uhr / Treffpunkt: Webergasse 9
Bilder: (c) stadtprojektionen