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Fill Your Void
Aus dem Februarheft: Hässig-Kolumnistin Nadja Keusch über abgeklärtes Abklappern von Körpern und (Selbst-)Liebe im Zeitalter von Tinder.

Nadja Keusch, fotografiert von Andri Bösch.
Swipe left – Swipe right. Mehr links (Nein!) als rechts (Ja!). Ich würde sogar behaupten, in 95 Prozent der Fälle nach links und in fünf Prozent nach rechts. Es gibt die einen, die haben die App «Tinder» noch nicht. Dann gibts die, die behaupten, sie sei im Ordner «Spiele» abgelegt. Und dann gibts die, die dazu stehen, dass sie tindern und es auch gerne nutzen.
Um schnell an Sex zu kommen. Oder um die wahre Liebe zu finden. Oder einfach nur Freunde zu suchen, wenn man in einer Grossstadt lebt. Damit meine ich natürlich nicht St.Gallen oder Zürich. Es ist auch tatsächlich viel einfacher, ein wenig zu chatten, als jemanden mit einem cleveren Anmachspruch im Nachtleben anzusprechen. Und ganz ehrlich, auch oft einfallsreicher.
Es scheint mir, dass Tinder für viele von uns ein Ort ist, an dem wir unsere Leere füllen können. Oder wir denken uns, dass wir sie damit füllen, vergessen aber ganz schnell, dass eine fremde Person uns nicht das geben kann, was wir eigentlich brauchen. Unsicherheit tarnen durch cooles Texten oder Ängstlichkeit verschweigen durch abgeklärtes Abklappern von Körpern.
Ich will nicht sagen, dass Tinder schlecht ist.Man kommt in Kontakt mit Menschen, denen man im Alltag arrogant aus dem Weg gehen würde. Mit denen man nie auch nur ein Wort wechseln würde. Man lernt nicht nur Menschen kennen, sondern auch sich selbst. Was man will. Wie man etwas will. Und ob man überhaupt das möchte, was man immer zu glauben meinte. Doch können wir mal endlich aufhören, uns selbst zu belügen? Zu denken, es ist nicht okay, dass man Ängste hat? Dass man sich alleine fühlt und Unsicherheiten im Alltag hat?
Stattdessen folgen wir nur den Tücken der Oberflächlichkeit. Wenn dir eine Person nicht mehr gefällt, tauschst du sie aus durch eine schönere Person. Oder intelligentere. Oder eine, die humorvoller ist. Das lässige Switchen zwischen deinen eigenen Gefühlen und anderen Personen. Und dann hat man wieder diesen Wow-Effekt, wenn man jemand Neues kennenlernt.
Dabei ist das, was wir anderen vorspielen, nichts anderes als ein Standardprofil auf Instagram. Zeigen wir der Welt, wie schön unser Leben ist. Was für aufregende Dinge wir den lieben langen Tag tun. Wie toll unser Frühstück ausschaut. Wie schön unser Zimmer ist. Was für schöne Blumen auf unserem Nachttischchen stehen.
Und dann heulen wir wieder am Ende des Tages, weil unser Leben doch nicht so geil ist. Ich möchte hier überhaupt nicht den Anschein erwecken, als würde ich technische Fortschritte ablehnen. Wer mich kennt, weiss, dass ich sie viel zu gerne nutze. Ich bin ihnen sogar dankbar, denn sie sind trotz ihrer unterstützenden Fakeness ein Mittel, um mich ausdrücken zu können.
Und bitte, hört endlich auf, Leute aufgrund der Nutzung von Dating-Plattformen zu verurteilen. Wir sind im Jahr 2018, und da gehören solche Dinge nun mal einfach dazu.
Nadia Keusch, 1994, arbeitet Vollzeit und beschäftigt sich in ihrer Freizeit gerne bei einem Glas Rotwein mit gesellschaftlichen Niedergängen. Sie plant gerne das Auswandern, zieht es aber nie durch. Sie lebt in St.Gallen und schreibt die Hässig-Kolumne in Saiten.
Dieser Text erschien im Februarheft von Saiten.