, 7. Mai 2018
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Go all the way #25

Batumi! Ruth Wili ist im Sehnsuchtsland angekommen, rund 16 Monate nach dem Start ihrer Fussreise von St.Gallen nach Georgien. Hier ihr neuster Tagebuchbericht.

Gerade habe ich mir die ersten 40 Vokabeln Georgisch draufgepackt. Hochgefühl! Noch ohne Schrift, wobei, da komme ich durchs Anschauen der Worte immerhin schon dazu, drei Buchstaben wiederzuerkennen. A, I und L. Ist diese Sprache abgefahren! Und die Schrift erst. Kringel mal Kringel mal Kringel. Eine Schrift wie Ornamente.

Dann tauchte Land auf im Osten

Wir sind in Batumi. Die Überfahrt in dieses unbekannte verheissene Land liegt hinter uns. Aus Nebel wurden Wellen und dann ein grossartiger Sonnenuntergang. Und dann tauchte Land auf im Osten. Weisse, mächtige Gipfel am Horizont, davor toscanaartig anmutende Hügel. Und davor eine Stadt mit eindrücklichen Hochhäusern. Batumi.

Ich heule, als ich den ersten Blick auf dieses Land erhasche.

Wir gleiten am Aussichtsturm vorbei, einem Wahrzeichen der Stadt. Ein Lotsenschiff nimmt uns in Empfang an der Einfahrt in den Hafen. Wie ein kleiner, hartnäckiger Bullterrier überwacht es unser Einlaufen, Tümmler springen ums Schiff. Ich… Ehrlich wahr?

Der Weg vom Schiff runter wird zur Herausforderung. Die Lastwagen sind so eng geparkt, ich kann mit den Hunden zwischen ihnen nicht passieren, muss über eine enge, steile Gittertreppe runter, die sich um den Schiffschornstein windet. Dieser bebt und grollt, noch laufen Motoren, stoppen auch nicht in absehbarer Zeit. Pluto hat Schiss. Ich lasse alle vorbei und lotse dann meine schwarze Angstansammlung mit Rückwärtsgangtendenz langsam Richtung Treppe, lege Leckerli aus. Homer wartet auf dem Plateau eins weiter unten. Vierzig Minuten später hat Pluto noch nicht eine Stufe betreten, erste Lastwagen rumpeln mit Metallgetöse vom Schiff, Pluto zuckt bei jedem Donnern zusammen.

Es wird warm. Ich spüre, wir kommen nicht weiter. Ich angle mich zu Pluto, der sofort hofft, nun würden wirs lassen, hebe ihn hoch, er erstarrt. Drücke ihn an mich und trage ihn die erste Treppe runter. Es erwarten uns noch sechs weitere, das war gerade mal der Anfang. Aber sie sind einen Hauch weiter weg vom Schornstein. Wir versuchens nochmal. Nach ein paar Minuten geb ich auf. Nichts zu machen. Pluto ist wie festgetackert. Drei Lastwagenstockwerke später bin ich bachnass. Ich mit Rucksack mit Pluto mit Rucksack. Homer verschreckt von den uns nun wirklich unmittelbar umgebenden, durchs ganze Schiff hallenden Geräuschen.

Ein paar Hafenarbeiter schauen interessiert zu, wie ich mich in Zeitlupe mit Pluto am Bauch die letzte Treppe runterhangle, einer fragt, wo der Mann sei. Es ist so eng, dass ich mit Pluto nicht quer zur Treppe runtersteigen kann. Es geht nur frontal. Und die Stufen sind so schmal, dass kein ganzer Fuss drauf Platz findet. Pluto juckt ab einem Polterer so zusammen, dass er mir auf dem letzten Meter aus den Armen schnellt. Landet am Boden, wo er einfach liegenbleibt. Der Arme! Ich schultere meinen Rucksack, führe die beiden raus.

Grelle Sonne, ein Heidenkrach

Die Schifframpe liegt auf Bahnschienen, was den Lärm nochmal… keine Ahnung. Es ist einfach un-fass-bar laut. Ich suche mit den Augen, wo jemand ist, der mir sagen könnte, wo ich mit den Hunden hin muss: Mein Pass ist abgestempelt, nun geht es darum, dass die Hunde einreisen dürfen. Jemand winkt und ich folge aufs Geratewohl. Wir stehen auf einer winzigen Grasborte in einen Streifen Schatten gequetscht und ich drücke die Papiere der Tiere dem Mann in die Hände, der sie für mich in eine Baracke bringt. Warten. Lastwagen holpern an uns vorbei, und Pluto flippt aus, als ein Rudel Streuner uns verbellen kommt. Ich lande auf dem Boden. Als ich uns wieder gebündelt habe, kommt ein anderer Mann und fragt, worauf wir warten. Ob noch jemand fehle. Offenbar sind die Hundepapiere, da ohne Person drinnen, einfach auf einem Stapel gelandet. Ich könnte heulen. Er ist so freundlich und geht für mich nachfragen und ich kriege sie kurz darauf mit einem Nicken zurück! DANKE! Wir sind drinnen! Wir sind in Georgien… Und wir sind nudeldurch.

Der Weg zum Hostel ist noch der Rest Herausforderung des Tages. Kein Bancomat am Hafen und also auch kein Taxi. Irre viel los in den Strassen. Strassenverkäufer, bettelnde Frauen mit Kindern im Schoss, Streuner, Verkehr. Oh meine Herzen! Und wenns für die letzten 200 Meter ist, wir verdienen ein Taxi! Aber der erste Bancomat findet sich erst wenige Meter vom Hostel weg. Es sollte wohl nicht sein. Aber wir sind da, alle drei und heil! Und das Hostel ist ein Drittel günstiger als angegeben, blitzsauber und hat noch eine kleine Küche zum Benützen und eine Waschmaschine for free. Wow! Ich sitze auf dem Bett, streichle die beiden Hunde, die an meinen Knien lehnen. Stille. Oh tut das gut.

Später erkunden wir die allernächste Umgebung. Sind gerade mal zwei Gehminuten vom grossen Park weg, welch ein Glück! Ich lese später, dass der Park sieben Kilometer lang ist. Er liegt als grünes Band zwischen Meer und Stadt. Grossartig! Und der Strand ist ununterteilt, frei und zugänglich für alle. Was für eine wunderschöne Art des Zusammenlebens: das Beste ist für alle! Love it!

Eine Tummeloase für Wesen jeglicher Art

Ich liege im Bett im Hostel, ruhe mich aus aus aus. Eine luftige Stadt – das fällt mir zu Batumi ein. Dabei hat es ziemlich protzige Hochhäuser, und nicht zu wenige, so wie hier in die Höhe gebaut wird. Stilistisch nicht ganz aus einem Guss für mein Empfinden, aber ohne Zweifel imposant. Überhaupt ist hier Nüchternheit und Understatement nicht unbedingt gang und gäbe. Im Zentrum an der Hauptverkehrsachse eine Mischung zwischen Bazar und sehr gestyltem Westen. Eine wilde Mischung. Gleich nebenan zum Beispiel ist ein dem Totenkopfhaus von Gaudi nachempfundenes Gebäude, das sich in einem Eck plötzlich völlig verwandelt und daraus über Stockwerke eine, ich glaube zwecklose Tholos sich erhebt, die einen Säulen-Kreis bildet, der über dem Gebäude thront. Drei Häuser weiter maurisch anmutende Ornamente an einem halben Gebäude und oben drauf dann ein krudes Türmchen, das sich nach oben wie eine unfertig gemoetrische Blüte auffaltet. Zwei Cuadras weiter Jugendstil, dazwischen ein Gebäude, das an das berühmte Kirchendach aus Budapest erinnert. Radwege in Rot. Fussgängerstreifen, von denen ich noch nicht raus hab, ob sie bedeuten, dass man Vortritt hat.

Viele Streuner. Und ein beachtlicher Teil von ihnen sind Rassenhunde. Viele leben in Rudeln im Park, versuchen, meist freundlich aber durchaus auch aufdringlich, was abzukriegen. Ich bin zutiefst angetan von dieser Stadt mit dem endlosen Park. Offiziell am Eingang ein Schild, das Hunde verbietet. Was obsolet ist, da die Streuner das Schild nicht lesen und entsprechend auch niemand sonst. Das heisst, der Park ist einfach eine völlig durchmischte Tummeloase für Wesen jeglicher Art. Fussgängerinnen, Kinder, die Radfahren üben, gemietete Scooter, Hunde an und off Leine, Hunderudel.

Noch haben wir nichts von diesem Land gesehen, und bereits hier weiss ich, hier könnte ich gut bleiben. Sicher ist es im Sommer noch einmal anders, wenn die Touristinnen und Touristen die Stadt fluten, aber auch das kann nicht eliminieren: das Beste ist for free und für alle da. Und als ich etwas weiter stromern gehe: Auch ausserhalb des Zentrums, wo der Protz den Plattenbauten Platz macht, behält die Stadt ihre Freundlichkeit. Wo in Varna eine gewisse Trostlosigkeit zu spüren war zwischen den Plattenbauten, fühle ich hier eine leichtere Stimmung. Die Wäscheleinen gehen vom einen Block zum nächsten, zum Teil über x Stockwerke. Die Grünflächen dazwischen mögen spärlicher sein, aber sie werden gepflegt und genutzt.

Ich kuriere noch den Rest einer Erkältung aus, die ich mir geholt habe an einem der ersten Tage im Park. Pluto und Homer haben, so mein Eindruck, das Schiffsabenteuer mittlerweile gut verarbeitet. Sind bereit für neue Abenteuer. Ich freue mich wie irre, dieses Land zu entdecken. Den Rucksack wieder auf dem Rücken.

Ruth Wili, Jahrgang 1981, war bis Ende 2016 als Inspizientin am Theater St.Gallen tätig. Anfang 2017 ist sie aufgebrochen zu einer Fussreise von St.Gallen ans Schwarze Meer. Mit dabei: ihr Hund Homer – und, in Bulgarien zugelaufen, Pluto, Hund Nummer zwei. Auf saiten.ch berichtet Ruth Wili von ihren Erfahrungen unterwegs.

 

 

 

 

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