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Saiten im September: Erbstücke
Geerbtes von der Zuckerzange bis zu den Genen, Erbrecht und Erbstreitereien, koloniales und kulturelles Erbe, Rassenzucht und Rassenwahn: Das Septemberheft von Saiten ist ein Erb-Stück, geschaffen vom Masterstudiengang Publizistik der ZHdK.

Wenn in der Natur oder Gesellschaft eine Geschichte über das Individuum hinaus weitergeschrieben wird, dann reden wir vom Erben. Erben erben Erbe. Alle übernehmen wir, was hinterlassen wurde oder dablieb, das ist die Gleichheit im Prinzip des Erbens. Was uns aber zufällt, ist sehr unterschiedlich, das ist die Ungleichheit darin. Es gibt, ganz naturhaft, Gewinner, aber auch Verlierer. In der Biologie vererben wir auch Defekte, in der Ökonomie auch Schulden, in der Klimatologie auch Dürren, in der Theologie auch Sünden.
Genetisch betrachtet erben wir – noch – alle gleich: Unsere Chromosomen-Ausstattung können wir nicht aussuchen. Wenn heute oder demnächst die für das gesteuerte Vererben geeigneten Technologien in Griffnähe sind, sind es auch die Ideen und Ideologien, die das Leben in lebenswert oder nicht lebenswert einteilen. So können Eltern-Individuen bald in die Lage kommen, von ihre Sprösslingen für unterbliebene Optimierungsmassnahmen vor Gericht gezogen zu werden. Und die Gattung Mensch ist jetzt schon in der Lage, die Geschichte der Natur mitzuschreiben und mitzuverantworten.
Kulturell betrachtet ist das Erben – zumal in einer vom Streben nach individueller Selbstbestimmung besessenen Gesellschaft – ein Widerspruch in sich. Kaum etwas akzeptieren wir als so unausweichlich wie das Weitergeben von materiellen und symbolischen Kapitalien an sogenannt Berechtigte. Ressourcen ganz anders weiterzugeben, kollektive Geschichten ganz anders zu schreiben, das Erbe der Idee des Erbens gar nicht anzutreten – all das erscheint uns widersinnig, wenn nicht sogar widernatürlich.
Dieses Heft, eine Kooperation von Saiten und der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK, handelt vom Erben. Beobachtend, erzählerisch und reflektierend lotet es aus, wie fatal oder künstlich, menschlich oder unmenschlich, sinnig oder widersinnig sich das Erben und Vererben in einer zum Park gewordenen Welt ausnimmt. Konzipiert, erarbeitet und in gestalterische Form gebracht wurden die 24 Doppelseiten von Franz Beidler, Laura Ferrari, Jonas Frehner, Valérie Hug, Julia Kohli, Claudio Landolt, Silvia Posavec und Eva Wittwer als Studierende sowie von Basil Rogger und Mihaly Varga als Dozierende im Master Kulturpublizistik der ZHdK.
Dass der Ostschweiz im Hinblick auf einen neuen und konstruktiven Umgang mit dem Thema Erben eine Vorreiterrolle zukommt, ist auch den Zürchern nicht verborgen geblieben. Die Stiftung Erbprozent, die Kulturlandsgemeinde von 2015 sowie die Aktivitäten zum Kulturerbejahr 2018 waren uns, auch wenn dies jetzt im Heft nicht mehr direkt sichtbar ist, eine wichtige Inspiration. Für die Carte Blanche, die wir von der Saiten-Redaktion erhalten haben, bedanken wir uns herzlich und wünschen eine anregende Lektüre.
Basil Rogger
Der Inhalt:
Reaktionen/Positionen
Redeplatz
mit Manolito Steffen
Stimmrecht von Rancho Folclorico Arbon
Mensch Meyer
von Helga und Janine Meyer
Herr Sutter sorgt sich… von Bernhard Thöny
Evil Dad
von Marcel Müller
Innensicht: Rondelle und Café Zimmermann
Erbstücke
Boubou
von Damian Christinger
Die Schallplatte
von Dominik Dusek
Das Bild
von Noemi Egloff
Erbstreit
Thomas Geiser im Gespräch mit Julia Kohli
Bläss
von Franz Beidler
Der Wald
von Alex Schauwecker
Dr Zauberring
von Laura Ferrari
Übermorgen
Beat Steiger im Gespräch mit Jonas Frehner
Die Zuckerzange
von Fiona Schreier
Erbe – Serie
von Beni Bischof
Rassenwahn
von Valérie Hug
Das Cello
von Franz Hohler
Die Bärenwaage
von Eva Wittwer
Klangschmiede
von Peter Hauser
Klang
Peter Roth im Gespräch mit Claudio Landolt
Die Haarbürste
von Regula Humm
Das Lachen
von Silvia Posavec
Archiv
von Vivienne Kuster
Der Nachname
von Seraina Manser
Der Reiseschrank
von Marc Sieger
Weitere persönliche Erbstücke gibt es laufend hier, hier, hier, hier, hier online.
Die Illustrationen zum Titelthema stammen von Beni Bischof und von Michelle Hartmann.
Abgesang
Kehl buchstabiert die Ostschweiz
Kellers Geschichten
Kreuzweiseworte
Pfahlbauer
Boulevard