, 10. November 2023
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Ausgezeichnet: Ragu und Surber

Am Donnerstagabend hat die St.Gallische Kulturstiftung in der Grabenhalle ihre diesjährigen Preise verliehen: Der Kunstpreis geht an die Musikerin Priya Ragu, der Anerkennungspreis an den Kulturjournalisten Peter Surber.

Stiftungsrätin Claudia Reeb übergibt Priya Ragu den Kunstpreis 2023. (Bilder: Bettina Ammann, St.Gallische Kulturstiftung)

Die Grabenhalle bestuhlt, auf der Bühne Stehtisch und Blumenbouquet, im Publikum Stiftungsrät:innen, Stadträt:innen, Regierungsrät:innen, Nationalrät:innen. Ein ungewohntes Bild für die Halle, in der sonst nächtens Gitarren dröhnen, Bässe wummern oder Pingpong-Bälle fliegen. Und doch der beste Rahmen, um zwei Menschen zu ehren, die beide auf ihre Weise in diese Halle gehören: die Musikerin Priya Ragu und der Kulturjournalist Peter Surber. Am Donnerstagabend wurde ihnen dort der Preis der St.Gallischen Kulturstiftung verliehen, ihr der Kunstpreis, ihm der Anerkennungspreis.

Die St.Gallische Kulturstiftung hat ihr Reglement und die Preisvergabe im letzten Jahr neu konzipiert. Der mit 25’000 Franken dotierte Kulturpreis heisst jetzt Kunstpreis, wird aber nach wie vor an Kulturschaffende aller Sparten verliehen. Der mit 10’000 Franken ausgeschriebene Anerkennungspreis ehrt neu Menschen, die sich vor allem in der Vermittlung, Vernetzung oder Verbreitung der St.Galler Kultur engagieren. Die Preise stehen «auf Augenhöhe», erklärt Kulturstiftungspräsidentin Barbara Schlumpf in der Begrüssung. Sie freue sich ausserordentlich, dieses Jahr die «überall aufsehenerregende» Musikerin Priya Ragu und den «Wunschkulturjournalisten» Peter Surber auszeichnen zu dürfen.

Zwischen Neo Soul und Kollywood

Priya Ragu ist der zurzeit wohl begehrteste St.Galler Musikexport. Bühnen in Grabenhalle-Grösse reichen da längst nicht mehr, sie hat zwei Alben veröffentlicht und ist seit 2020 bei Warner Music England unter Vertrag. Die Vergabe des Kunstpreises an sie ist deshalb nur konsequent. Stiftungsrätin und Preis-Gotte Claudia Reeb lobt die Hartnäckigkeit, das Talent und das «kosmopolitische Klangspektrum» der St.Gallerin mit sri-lankischen Wurzeln. Priya Ragu spiele eine wichtige Vorbildrolle für eine diverse Gesellschaft.

 

Ihre Laudatio hält Kulturjournalist Timo Posselt. Er gilt als einer der Entdecker von Priya Ragu. 2018 haben sie sich in Zürich auf einen Kaffee getroffen. Er wollte einen Text schreiben «über die Musikerin, der man in der Schweizer Szene am allerwenigsten einen internationalen Durchbruch zugetraut hätte». Sie arbeitete damals noch Teilzeit bei der Swiss, finanzierte sich die Musikkarriere selbst. Am Ende dieses anregenden Gesprächs habe er Priya nach ihrem musikalischen Traum gefragt. «Den Lebe ich gerade», antwortete Priya, «zusammen mit meinem Bruder verwirklichen wir unsere musikalische Vision.»

Das war vor fünf Jahren. Doch Priya Ragu lebe ihren Traum immer noch, sagt Posselt. «Vielleicht wird sie nie aufhören zu träumen.» Begonnen habe dieser Traum in ihrem Kinderzimmer, wo sie in den 90er-Jahren mit Neo Soul aufgewachsen ist, mit dessen «Schwarzen Heldinnen» Brandy und Lauryn Hill. Mit ihnen habe sie ihre Stimme gefunden, sei plötzlich nicht mehr allein gewesen, «als einziges schwarzes Kind in der Schulklasse».

Neo Soul war die eine Welt. Die andere, in der sie aufwuchs, heisst Kollywood. Die tamilische Filmindustrie vermischt in ihren Soundtracks elektronische mit traditionell indischen Instrumenten. Familie Ragupathylingam habe sich Kollywood jeden Sonntag nach Hause in die Stube geholt, erzählt Posselt. «Der Vater benutzte einen Wäschekorb als Trommel, der Onkel musizierte mit Messer und Gabel, und während die Mutter kochte, sang man gemeinsam Kollywood-Songs.»

In den Nullerjahren wollte Priya einmal in der Grabenhalle auftreten, zusammen mit ihrem Bruder Roshaan, der damals Teil der Rap-Combo The Wolves war. Dazu kam es aber nicht, erklärt Posselt, denn ihre Eltern hatten Sorge, «gleich zwei ihrer Kinder in ein unstetes Musikerleben zu entlassen». Diese Vorbehalte sind längst ausgeräumt, die stolzen Eltern sitzen am Donnerstag ebenfalls in der Grabenhalle. Sichtlich gerührt ruft Priya ihnen nach der Preisübergabe zu: «Seht, ich habe es geschafft!» Und sie bedankt sich bei ihrem Bruder Roshaan alias Japhna Gold, der sie all die Jahre unterstützt hat und bis heute ihre Musik produziert.

Priya Ragu bedankt sich für den Kunstpreis.

Priya Ragus musikalischer Traum handle von zwei Welten, die zu einer werden, sagt Posselt. «St.Gallen und Kollywood, die Grabenhalle und der Times Square, ein britischer Plattenvertrag und der Kunstpreis der St.Gallischen Kulturstiftung.» Es stecke alles in ihrer Musik, in ihrer Stimme, die einen wie ein leichter Stoff einhülle, so dass man sich sofort behutsam gebettet fühle. Die Texte handelten von Hoffnung, weil Priya den Schmerz nur zu gut kenne. Ihre Songs seien Lichter, die leuchten, selbst wenn die Welt wiedermal in Dunkelheit zu versinken drohe.

Ein Gassenhauer für den «Kultur-Natur-Burschen»

Welten vereinen, das kann auch Peter Surber. Er ist seit über 40 Jahren Kulturjournalist und setzt sich bedingungslos und unermüdlich für die St.Galler und die Ostschweizer Kultur ein, wofür er nun den Anerkennungspreis bekommt. Auch das ein sehr verdienter Preis – der auch uns von Saiten sehr freut, hatten wir doch die letzten zehn Jahre das grosse Vergnügen, mit ihm zu arbeiten, bis vor einem Jahr als Redaktor, seither als freier Mitarbeiter. Stiftungsrat und Preis-Götti Thomas Birri bezeichnet Surber zurecht als «wortgewaltig». Solchen Menschen komme man am besten mit einem Gedicht bei: Vom Selberdenkenden von Richard Pietrass sei Surber wie auf den Leib geschneidert.

Birri kann das Gedicht gerade knapp fertig vortragen, bevor er von Emmi und Günther (Diana Dengler und Marcus Schäfer) unterbrochen wird. Etwas verwirrt suchen sie sich den Weg durchs Publikum, normalerweise sind sie zuständig für den Gassenhauer am Wortlaut. «Heute Indoor», stellt Günther trocken fest und zieht Emmi auf die Bühne. Leicht entrüstet, wie man sie kennt. Es müsse schiere Verzweiflung sein, dass man jetzt schon Journalisten mit Kulturpreisen auszeichne. Und die guten, die seien ohnehin tot.

Wobei, dieser Surber, der sei ja schon bekannt in St.Gallen. Davon gebe es mehrere, das sei eigentlich ein Clan, sagt Emmi, «eine Mafia». Und eine davon werde bald Regierungsrätin. Geehrt werde nun aber ihr Onkel, der Peter: 25 Jahre Journalist bei «Ostschweiz» und «Tagblatt» und zehn Jahre lang bei Saiten. Ein alter weisser Mann zwar, aber sie kenne ihn «gut genug, um zu wissen, dass er ein Feminist ist». Er habe beim «Tagblatt» schon Teilzeit arbeiten wollen, als das noch kein Thema war. Er habe bei der Hochzeit mit seiner Frau die Brautkleider getauscht. Und einer seiner ersten Artikel 1987 habe von der ersten Frauenlandsgemeinde in Trogen gehandelt.

Dafür bekomme er den Preis aber nicht, sondern für seinen Kulturjournalismus, stellt Emmi klar. Für seinen kritischen Blick, seine kulturpolitischen Analysen, Kommentare, Vorschauen, Theaterbesprechungen, Literaturkritiken, Essays, gesellschaftskritischen Einlassungen und so weiter und so fort. «Nie gefällig, sondern immer präzis, klar und tiefgründig.» Und dabei sei er doch so bescheiden, wolle diesen Preis eigentlich gar nicht, so mutmassen die beiden.

Thomas Birri (links) übergibt Peter Surber (rechts) den Anerkennungspreis. Emmi (Diana Dengler) und Günther (Marcus Schäfer) freuts.

Am liebsten schreibe Surber über Katastrophen, behauptet Günther. «Nicht am liebsten, sondern weil er muss!», stellt Emmi richtig. Dann sei er am dringlichsten, am ernsthaftesten, am verbindlichsten: Wenn etwas auf dem Spiel stehe, was ihm lieb sei. Dasselbe gelte für sein kulturelles Engagement: Kulturlandsgemeinde, Kulturstiftung, Kulturrat, IG Kultur Ost, Haus für die freie Szene – «alles undenkbar ohne Surber», diesen «schaffigen Kultur-Natur-Burschen.»

Unter «Danke, Super-Surber»-Rufen muss der «bescheidene Typ» dann doch auf die Bühne – nicht ohne zu betonen, dass es unzählige andere gebe, die diesen Preis ebenfalls verdient hätten. Und wie wichtig die Kulturförderung sei. Seine lustvolle Laudatio, vorgetragen vom Gassenhauer-Duo Emmi und Günther, hat «Tagblatt»-Redaktor Marcel Elsener verfasst. Er hat dieses frotzlige Format einst erfunden, in den vergangenen Jahren hat es Surber fürs Literaturfestival Wortlaut weitergepflegt. Jetzt ist er selbst in den Genuss eines solch bissigen Hauers gekommen. Es war mutmasslich die einzige Form, wie er das verdiente Lob ertragen konnte.

 

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