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Vertrauen oder Transparenz?
Die stadträtlichen Informationsanlässe zu Abstimmungsresultaten sind heute ausschliesslich Medienschaffenden vorbehalten. Eine Motion will diese nun auch der interessierten St.Galler Bevölkerung zugänglich machen.

Die Rolle der Medien hat sich verändert. Nichts Neues – die Branche lamentiert seit Jahren über die «schwierige Zukunft» oder die «Rolle des Journalismus». Erfolgreich sind heute nicht unbedingt jene Medien, die zuerst berichten, was wo wie passiert ist. Erfolgreich ist, wer es schafft fundierte Analysen und sorgfältig recherchierte Hintergrundinformationen zu liefern, ein Forum zu kreieren, um die demokratierelevante Funktion der Medien zu gewährleisten.
Wenn der St.Galler Stadtrat heute die Abstimmungsresultate verkündet und kommentiert, tut er das unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Zugelassen sind ausschliesslich Medienschaffende – also keine Parlamentarier, keine Unternehmer, keine Privatpersonen – mit einigen willkürlichen Ausnahmen (Tagblatt vom 28. September).
Das heisst: Wer sich den stadträtlichen Kommentar der städtischen Abstimmungen am 24. November zu Gemüte führen will, muss Tagblatt lesen, TVO schauen oder einen Blick auf saiten.ch werfen.
Einerseits Service, andererseits selber denken
Das ist insofern gut, als dass die Informationen im Idealfall plausibel und verständlich serviert werden. Es gäbe jedoch auch den aufklärerischen Aspekt: «Sapere aude!» Was nach Kants Interpretation so viel heisst wie «Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen» – relevant deshalb, weil wir Stimmbürgerinnen und Stimmbürger angehalten sind zur politischen Partizipation: Wir lesen den Abstimmungstext, wir machen unsere Kreuze und wir gehen an die Urne – wieso sollen wir nicht auch das Recht haben, den Abstimmungskommentar aus erster Hand zu hören?
Eine Motion, ausgehend von SP-Parlamentarier Etrit Hasler, fordert nun genau das. Er will vom Stadtrat, dass er den Artikel 34 der Gemeindeordnung dahingehend revidiert, dass «künftig alle Informationsveranstaltungen der Öffentlichkeit zugänglich sind». Er wolle keine «gemainstreamte Kommunikation», die eine öffentliche Diskussion verunmögliche, sagt Hasler vor dem Hintergrund, dass lokale Medien allfälligen «Gegenstimmen» aus dem Parlament mühsam nachjagen müssten, da diese von der Veranstaltung ausgeschlossen sind. Der Stadtrat schulde der Öffentlichkeit Transparenz.
Keine Podiumsdiskussion
«Wir wollen andere Meinungen nicht ausschliessen», erwidert Stadtpräsident Thomas Scheitlin. Verkünden und Kommentieren seien jedoch zweierlei: St.Gallen sei führend, was die Verkündung der Resultate via Twitter oder Facebook betreffe. Man wolle sich aber weiterhin vorbehalten, die Abstimmungen nur Medienschaffenden gegenüber zu kommentieren, da die Pro- oder Kontra-Komitees ihre eigenen Informationsanlässe hätten. «Wir wollen keine Podiumsdiskussion.»
Das will auch Hasler nicht. «Ich erwarte nicht, dass sie jeweils noch Platz für Gegenmeinungen einräumen, ich will nur, dass alle Interessierten zugelassen sind, um sich eine eigene Meinung bilden zu können.» Auch Thomas Schwager von den Grünen hätte nichts dagegen und fragt, ob man, abgesehen von allgemeinen Informationsanlässen, nicht wenigstens die Abstimmungsresultate öffentlich kommentieren könne.
«Nein, wir wollen die bestehende Praxis beibehalten», beharrt der Stadtpräsident. Und in der Antwort zur vorangegangenen Interpellation zu diesem Thema hiess es, dass sowieso kaum öffentliches Interesse an solchen Anlässen bestehe.
Kann es auch nicht, wenn bis dato niemand ausser Medienschaffenden zugelassen war. Und wenn das so wäre, würde es auch keinen Unterschied machen, wenn die (inexistente) Öffentlichkeit zugelassen wäre.
Wissen aus erster Quelle
Wer allerdings im Sinne von Kant handelte, hätte sehr wohl Interesse an der ungefilterten Meinung des Stadtrates. Einerseits weil er oder sie neben den Medien noch eine erste, direkte Quelle hätte, andererseits weil blindes Vertrauen in «uns Medien» auch etwas naiv ist – je weniger Medien auf einem Platz, desto naiver, böse gesagt.
Auch der städtische Kommunikationsbeauftragte Urs Weishaupt räumt ein, dass es «wahrscheinlich früher oder später dazu kommt, dass solche Anlässe öffentlich sind». Der sogenannte Mainstream sei aber nach wie vor wichtig, obwohl sich die Medienlandschaft verändere. Auch er wolle verschiedene Meinungen lesen und hören. «Solange wir allerdings an die Presse glauben, ist dieser Zwischenschritt über die Medien vertretbar», sagt Weishaupt. «Tagblatt und Co. sind wichtige Meinungsträger.»
Meinungen sind gefragt!
Wir wollen wissen: Was spräche dagegen, städtische Info-Anlässe öffentlich zu machen? Wäre das im Sinne der Transparenz? Wäre es echte Partizipation? Oder ist es utopisch zu glauben, dass sich Private wirklich interessieren, wovon der Stadtrat offenbar ausgeht? Ist es wichtig und nötig, dass «wir Medien» die «Schnittstelle» zwischen Politik und Stimmvolk sind? Fragen über Fragen – die Diskussion ist eröffnet.