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Das Kreuz mit dem «cross»
Crossover ist Mode, seit Jahren auch in der Klassik, und das zieht offensichtlich unvermindert: Am Samstagabend füllte sich die St.Galler Kathedrale bis auf den letzten Platz, tausend Leute, selbst an den Säulen standen sie und hinten auf den Steinstufen sassen sie, die gekommen waren, um Peter Roth und sein Chorprojekt, Peter Waters und sein Quintett, […]

Crossover ist Mode, seit Jahren auch in der Klassik, und das zieht offensichtlich unvermindert: Am Samstagabend füllte sich die St.Galler Kathedrale bis auf den letzten Platz, tausend Leute, selbst an den Säulen standen sie und hinten auf den Steinstufen sassen sie, die gekommen waren, um Peter Roth und sein Chorprojekt, Peter Waters und sein Quintett, den jungen Bariton Manuel Walser aus Teufen oder Josef Osterwalders Texte zu hören. «Libera me» hiess das Stück, eines der durch den Kanton tourenden Kulturprojekte zum Gallus-Jubiläum. Es kreuzt Klassik und Jazz und Text, fusioniert Fauré-Requiem und Heiligen-Historie, mischt romantische Chormusik mit Perkussion und gedämpfter Trompete. Ob sich so unterschiedliche Zutaten vertragen? «Crossover», über Kreuz lagen am Ende auch die Reaktionen der Zuhörerinnen und Zuhörer: die einen begeistert, die andern unzufrieden.
Der Requiemtext ist Auseinandersetzung mit dem Skandal des Sterbenmüssens und mit der dazwischen aufblitzenden Hoffnung auf ein seliges Leben. Libera me, befreie mich – weiter geht der Vers mit «de ore leonis»: Rette mich aus dem Rachen des Löwen. Gabriel Fauré allerdings konnte mit einem solchen strafenden Gottesbild nicht viel anfangen – sein Requiem aus dem Jahr 1888 betont den sanften Tod, den milden Übergang in ein seliges Leben „in paradisum». Es passt damit ganz gut zu Gallus, wie ihn Josef Osterwalders Texte zeichneten: als einen Heiligen, der statt dem zornigen den liebenden Gott suchte und damit in Konflikt mit dem «Übermönch» Kolumban und der herrschenden Lehre geriet. Aber auch von einem, der in Tuggen Götzenbilder zerstörte oder der sich aussichtslos in die junge Fridiburga verliebte.
Reibungsflächen genug also im Spannungsfeld einer missionarischen, bald angstmachenden, bald tröstenden Religion und ganz unterschiedlicher Todes-Vorstellungen. Von solcher Reibung aber wollte die Musik nichts wissen. Das Jazzquintett (Peter Waters, Klavier, Michael Neff, Trompete, Daniel Pezzotti, Cello, Tony Renold, Perkussion und Dominique Girod, Bass) setzte Faurés Originalpartitur in einen intimen Salonjazz um, der die harmonischen Kühnheiten Faurés glättete und die Rhythmen verswingte – gepflegte «happy hour»-Musik, die den Riesenraum der Kathedrale kaum zu füllen vermochte und das Riesenthema Tod auf Konversationsniveau herabholte.
Das schien auch den Chor in seiner Gestaltungskraft zu bremsen. Peter Roth und sein Chorprojekt haben vor circa zwanzig Jahren schon einmal Faurés populäres Requiem aufgeführt, in der Originalfassung, eine starke Erinnerung. Im Gegensatz zu damals figurierte der Chor hier als Begleiter des Jazzquintetts, er sang seine Einwürfe sehr sorgsam, aber mit zu viel Zurückhaltung. Kurze eindringliche Auftritte hatten die Solisten Maria Walpen und Manuel Walser.
Von Fauré gibt es allein vier Fassungen seines Requiems. Vier Originale für ganz unterschiedliche Besetzungen – da müsste eine neue, fünfte Variante zwingender ausfallen als an diesem Abend im Dom.
Weitere Aufführungen in Schaffhausen (9.9.), Widnau (15.9.) und Zürich (22.9.). www.chorprojekt.ch