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Die Kunst, Kunst zu zertifizieren
Ein neues Instrument zur Trennung von Spreu und Weizen: Die Wiler Kunstgruppe ohm41 hat für ihre Jubiläumsausstellung Kunstwerke zertifiziert. Das Resultat, «7x20BILDER», ist ab 1. Juni in der Kunsthalle Wil zu sehen. von Michael Hug

Hängung der zertifizierten Werke, hier ein Bild von Rita Keller, in der Kunsthalle Wil.
Es sei DAS kommende Geschäftsmodell der qualitativen Kunstproduktion, sagt ohm41. Die Produktion von Kunst sei längst zum Geschäft geworden. Es werde projektiert, produziert, gemanagt und gemarketingt; an der Schwelle zwischen Atelier und Galerie trenne sich der Weizen dann aber doch nicht von der Spreu. Der Markt leide unter dem Angebotsüberhang. Jeder und jede, der oder die sich dazu prädestiniert fühle, produziere Kunst und wolle dafür Cash. Qualitätsüberlegungen seien zumindest seitens der Anbieter inexistent.
Dem soll nun die Zertifizierung entgegengehalten werden, so ohm41. In seiner Jubiläumsausstellung «7x20BILDER» in der Kunsthalle Wil zeigt das Kollektiv deshalb ausschliesslich Kunst, die strengsten Kriterien standhält.
20 Jahre unzertifiziert
Zuvor rief ohm41 – in diesem Jahr auf 20 Jahre Existenz zurückschauend – zur nicht öffentlichen Zertifizierung von 50 Kunstschaffenden nach Wil ein. Die Kandidatinnen und Kandidaten hatten ihr zur Ausstellung ausgewähltes Werk gleich welcher Grösse mitzubringen und nach Ablaufplan zu exponieren. Einer Viehschau ähnlich bewerteten drei Experten von ohm41 die Werke, wobei die Kunstschaffenden gegebenenfalls auch Kommentare abgeben durften.
Massgebend dabei war die Norm014 der EN 13501-1 (Europäisches Klassifizierungssystem für Baustoffe), welche besonders hinsichtlich der Brandeigenschaften und Geruchsemissionen grundlegend ist. Zum Beispiel kennt der Geruchstest vier Stufen: 1 = kein Geruch, 2 = wenig Geruch, 3 = mittlerer Geruch, 4 = starker Geruch (mithin toxisch).
Drei Zertifikatoren
Beurteilt wurden durch die drei Protuberatoren (ein Begriff aus früheren ohm41-Zeiten) Stefan Kreier, Tuli und Markus Eugster ausserdem das mögliche Abtropfen des Werks, seine Farbanteile, seine Authentizität oder die Art der Hängung. Erschienen eine oder mehrere Qualitätsindikatoren unzulänglich, erhielt der Kandidat, die Kandidatin zwischen 10 Sekunden und zwei Minuten Gelegenheit, sich zu äussern und das Werk in ein besseres Licht zu stellen.
Die Jury jurierte dabei durchaus kompetent, was auch daran abzulesen war, dass diverse Werke, auch solche etablierter Schöpfer, nicht zertifiziert wurden. Zum Beispiel wurde das Werk des Toggenburger Kunstschaffenden Fri Freydl abgeleht, weil die dritte Säule fehlte. Der Kommentar der Jury: «Ohne dritte Säule sind Sie nicht abgesichert genug.»
7x20BILDER: 1. Juni bis 14. Juli, Do bis So, 14 bis 17 Uhr
Vernissage: 1. Juni, 18 Uhr, Kunsthalle Wil
Doch ist es nicht eine ungeheure Anmassung, Kunst nach bestimmten Kriterien, vorab der Norm014, zu beurteilen? Öhmler Markus Eugster dazu: «Ohm41 geht davon aus, dass jedes Objekt, das von einem/r Künstler/in geschaffen wurde, ein Kunstobjekt ist, ganz im Sinne von Joseph Beuys. Schwieriger wird es jedoch, die Frage der Qualität zu beantworten.»
Das jubilierende Kunstkollektiv stelle sich zum 20. Geburtstag die Frage auch an sich selbst: «Ist das Hafenkäse, den wir da produzieren, oder lächelt uns da eine Goldader entgegen, was uns dann in den Himmel der Big Shots befördern würde und im Sinne unserer Gesellschaft an die Honigtöpfe lässt?» Die Leistungsgesellschaft beanspruche das Primat der Selektion, und selbst die Kunstschaffenden liessen sich auf das Element der Selektierung ein. Sie stellten sich jedoch selten der Frage: «Wo ist der Unterschied zwischen hohlem Gebrösel und totaler, durchdringender Schaffenskraft?»
«Nicht allzu ernst nehmen, das Ganze!», hörte man an der Zertifizierung am letzten Wochenende einen Zertifizierten einer noch zur Zertifizierung anstehenden Zertifikantin sagen.