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Die Ostschweizer Musikszene aufgemöbelt
Freddy «Gagi» Geiger hat 1977 das heutige Openair St.Gallen gegründet. Am 16. Januar ist er im Alter von 68 Jahren verstorben. Erinnerungen an einen Menschen, der «ein bisschen Pfadfinder, ein bisschen Hippie, eine Prise Missionar, ein Hauch Unternehmer und eine Spur Philosoph» war. von Hanspeter Spörri

Freddy Geiger im Jahr 2016. (Bild: Astrid Zysset)
Einen von Freddy Geigers herausragenden Charakterzügen lernte ich früh kennen: seine Hartnäckigkeit. Irgendwann im Frühsommer 1977 meldete er sich bei mir. Ich war seit einem Jahr für das «St.Galler Tagblatt» tätig und hatte schon einige Male über seine Konzerte im Pfarreizentrum Abtwil geschrieben, auch über die von ihm organisierte Vorausscheidung für das Nationale Amateur-Jazz- und Rockfestival in Augst. Und nun also sollte ich eine Vorschau auf das bevorstehende Openair in Abtwil schreiben. Meine Redaktionskollegen hielten den Plan für eine Schnapsidee.
Aber Gagi, so nannte man ihn schon damals, liess nicht locker, rief mehrmals auf der Redaktion an. Irgendwann wurde mir auf der letzten Seite Platz eingeräumt, und Gagi chauffierte mich mit seinem Deux Chevaux auf das vorgesehene Gelände auf dem Aetschberg, hoch über Abtwil. Dort schilderte er seine Vision: Er plane «etwas für die Ostschweiz vollkommen Einmaliges».
Unter dem Titel «Zwei Tage Musik, Liebe, Entspannung …» schrieb ich, auf der Bühne würden beinahe alle Schweizer Rock- und Popgrössen auftreten. «Gagi und sein 70köpfiges Helferteam wollen das friedlichste Schweizer Popfestival organisieren: Die Besucher dürfen mitten im Festivalgelände zelten.» Es werde eine Atmosphäre wie in Woodstock herrschen.
Der 22-jährige Gagi hatte mich, den 23-jährigen Journalisten, mit seiner Euphorie angesteckt.
Ein steter Prediger für die gute Sache
Ihm gegenüber war es schwierig, die im Journalismus nötige kritische Distanz zu wahren. Das gelang mir erst, als Gagi um 1980 mit seinem Verein «Vägian» die Reithalle am Rande der Kreuzbleiche in eine Konzerthalle umwandeln wollte. Über einem Kommentar setzte ich die Titelzeile «Gagigantomanie». Da lerne ich einen weiteren Charakterzug Gagis kennen. Obwohl ihn die Kritik verletzt haben musste, blieb er mir gegenüber freundlich und zugewandt.
Als 1997 zum 20. Jubiläum des Openairs, das seit 1981 im Sittertobel in St.Gallen stattfindet, ein Buch publiziert wurde, bat man mich um ein Portrait über Gagi: Inzwischen kannte ich ihn ein bisschen besser. Unter dem Titel «Steter Prediger für die gute Sache» fasste ich sein Wesen zusammen als «ein bisschen Pfadfinder, ein bisschen Hippie, eine Prise Missionar, ein Hauch Unternehmer, eine Spur Philosoph».
Und ich erinnerte mich an die Fahrt auf den Aetschberg, den von ihm entdeckten «fast sakralen Ort»: «Fast wie einst Moses wies er mir, dem ersten Vertreter seines künftigen Openair-Volkes, den Weg auf das gelobte Land. Gagi schilderte die kommenden Ereignisse so plastisch, dass ich schon die Tausenden von jungen Besuchern zu sehen glaubte, die mit Sack und Pack auf den Aetschberg pilgerten, am Waldrand campierten und die mit Blick in den Sonnenuntergang einen Joint rauchten.»
Meistens einen Ausdruck der Rührung im Gesicht
Wenn ich mich heute an Gagi erinnere, so sehe ich ihn meistens mit einem Ausdruck der Rührung im Gesicht: Gerührt über die Hilfsbereitschaft des Bauern, der das Festivalgelände zur Verfügung stellte, gerührt über die gelebte Solidarität am Festival, darüber, wie man gemeinsam dem Regen widerstand. Gagi hat dem Wir-Gefühl immer wieder nachgeholfen, mit seinen kurzen Ansprachen ans Publikum, mit seinen Motivationsreden an das Helferteam.
Gagi sei nicht der einzige Gründer des Openairs gewesen, schrieb ich 1997. Aber er sei der Chef gewesen: «Kein Diktator, keiner, der nur sich ins Zentrum gestellt hätte. Aber gleichwohl stand er dort, in dieser Mitte, wo es einen charismatischen ‹Prediger› braucht, wenn ein Projekt nicht scheitern soll, einen, der von seiner Mission derart überzeugt ist, dass er alle anderen mitreissen kann.» Und einen, der für finanzielle Stabilität sorgt: Bis zur Vereinsgründung 1983, sagte mir Gagi, sei als Sicherheit nur das Geld zur Verfügung gestanden, das er auf der Bank verdient habe.
Gagi war ein Idealist, ein meist unpolitischer Idealist. Sein Gerechtigkeitsgefühl wurde verletzt, «wenn ein Künstler von sozialer Ungerechtigkeit singt und selber Spitzenverdiener ist». Die Schattenseiten der Musikindustrie beschäftigten ihn schon früh. Aber er wusste, dass er mit diesen Widersprüchen irgendwie klarkommen musste.
Alle Widerstände überwunden
Lange habe ich Gagi dann nur noch selten gesehen. Einmal erzählte er mir von seiner Krankheit. Er wolle daraus das Beste machen. Aber es sei ernst. Dabei zeigte sich ein weiterer Wesenszug: Seine Zuversicht, sein Mumm, sein Realismus. Als er bereits erblindet war und das Haus kaum noch verliess, telefonierte ich mehrmals mit ihm, weil ich an der Biografie über Steff Signer (Infrasteff) arbeitete, für den die Auftrittsmöglichkeiten in Abtwil und am OpenAir einst entscheidend waren. Gagis Erinnerungen waren für meine Arbeit hilfreich.
Ich plante deshalb, nach Abschluss des Buches mit Gagi einige lange Gespräche zu führen, und besuchte ihn zur Vorbereitung in seinem Haus. Ich wollte seine Erinnerungen an die Jugend- und Musikkultur vor allem der 1970er und 1980er Jahre für die Nachwelt festhalten. Gagi, spürte ich, hatte etwas zu erzählen. Denn er hatte sein Ding durchgezogen, sein Ziel erreicht, alle Widerstände überwunden. Im März 1977 hatte ich im Tagblatt geschrieben: «Da sitzt einer in Abtwil und hat sich eine ganz gewaltige Aufgabe gestellt: Gagi, bekannt durch ‹Gagi’s Production›, will die Ostschweizer Musikszene aufmöbeln.» Das ist ihm gelungen.
Ich hätte das Gespräch mit ihm nicht hinausschieben dürfen.
Schönes Porträt! Danke, Hanspeter.
Es ist für mich noch immer kaum zu glauben, dass damals Joan Baez in meinem Dörfchen auftrat – Dank Gagi…
Er hat St. Gallen kulturell bereichert.
Lieber Gagi, ich danke dir unendlich Mal, dass du mich damals mehrfach für deine ersten OpenAirs mit „off&out“ eingeladen hast und das Festival dann im Sittertobel weitergeführt wurde. Ich habe dann mit „Umamaca“ im Jahr 1985 auf der Hauptbühne spielen können – ein Projekt mit Ostschweizer Musikmachenden konnte ich aufbauen. Unvergesslich. Am Abend hat auf der gleichen Bühne Joe Cocker gespielt. Das waren noch musikalische (!!!!!) Zeiten.
Gagi hat im Jahr 2019 an unser Konzert mit „Umamaca“ im Einstein St.Gallen die LP von 1986 mitgenommen, um unsere Unterschriften 33 Jahre später noch einzuholen. Unvergesslich…
https://eigenmannurs.com/umamaca/