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Ein Kiesplatz und das Glück unter den Füssen
Wenn Velos überall den Besitzer wechseln, dann ist definitiv Frühling – in Rorschach begann am Samstag die Velobörsenzeit. Kaum je fühlt sich die Freiheit so konkret an wie in jenem Moment, in dem man mit seinem neuen Zweirad losfährt. von Nina Rudnicki

Gegen Mittag hat sich der Kiesplatz hinter dem Velogeschäft Rad 9 in Rorschach schon fast geleert. Dabei ist es noch keine zwei Stunden her, dass die Leute Schlange standen, um als erste durch die Velobörse streifen zu können: Vorbei an 230 Velos, auf der Suche nach jenem Rad, das ihnen am besten entspricht. Mit dem Wissen – wenn auch unterbewusst –, dass sich Frühling erst nach Frühling anfühlt, wenn man sich nach dem Winter zum ersten Mal wieder auf das geliebte Velo schwingt.
Und spontan findet man dieses am ehesten auf Velobörsen, die natürlich auch umgekehrt funktionieren. Wer einen Fehlkauf oder ein überflüssiges Velo loswerden möchte, bringt es am Vortag vorbei, schreibt es mit einem Preis an und braucht nur noch darauf zu hoffen, dass sich ein Käufer findet.
Hipstergirls, teure Flitzer und Euphorie
So hat das Rad-9-Team am vergangenen Samstag alle Hände voll zu tun. Es gibt alte Rennvelos, moderne Rennvelos, Retrobikes, Eingänger, Kindervelos, Veloanhänger, E-Bikes, Stadträder und Mountainbikes. Ein Hipstergirl steht vor einem nagelneuem Retrovelo und überlegt sich seit einer Stunde, ob es die 700 Franken wert sei oder nicht. Und so viel sei verraten: Gegen Mittag wird sie zufrieden mit ihrem neuen Velo vom Gelände fahren.
Ein paar Veloreihen weiter steht eine junge Frau vor einem Velo in einem Goldton. Es hat exakt dieselbe Farbe wie ihr Mantel. «Ein Zufall», sagt sie. Aber schaden kann ein durchdachter Auftritt in der Öffentlichkeit natürlich nie.
Ein Mann geht vorbei, zwar ohne Fahrrad, aber trotzdem zufrieden. «Gerade hat sich jemand für mein Velo entschieden, das ich letztes Jahr völlig überteuert an einer Börse in Zürich gekauft habe», erzählt er seinem Kumpel und fügt an, dass er diese Ausgabe nun praktisch wieder hereingeholt habe. Weniger durchtrieben ist der kleine Junge, der euphorisiert auf einem silbrigen Velo über den Kiesplatz flitzt und immer wieder ruft: «Es hat alles, was es braucht. Licht, Bremsen und einen Ständer.» – Es tut gut zu sehen, wie wenig es braucht (in diesem Fall 80 Franken), um glücklich zu sein.
Börsen noch bis in den Sommer
Gegen 12.30 Uhr zeigt sich dann, welche Fahrräder an diesem Samstag wohl keinen neuen Besitzer finden werden. Mit dem rostigen Schrottvelo für 20 Franken kann sich niemand so richtig identifizieren. Auch kommen jetzt eine halbe Stunde vor Börsenschluss nur noch wenige Interessierte vorbei – wobei interessiert das falsche Wort ist. Etwas gelangweilt schlendern sie über den Platz und wirken so, als ob sie eh nie vorhatten, ein Velo zu kaufen, sondern nur mal schnell schauen wollten. Immerhin haben jetzt die beiden Rad-9-Geschäftsführer Adrian Schrepfer und Gregor Bürkler Zeit für eine Pause. Und ihr Helferteam verschwindet nach und nach hinter dem Velogeschäft. Für sie wird dort jetzt ein Mittagessen aufgetischt.
«Das war ein typischer Börsentag», sagt Gregor Bürkler. «Die Leute kommen früh und befinden sich in einem richtigen Börsenfieber.» Die Velobörse sei für alle eine gute Sache, weil es in der Region Rorschach bisher keine vergleichbare Veranstaltung gegeben habe. Und weil Rad 9 unter dem Jahr keine Velos ankaufe, sei die Börse eine gute Gelegenheit, auch mal eine andere Kundschaft anzuziehen.
Die Velobörse in Rorschach ist gewissermassen der Auftakt in die Velosaison. In diesem Jahr war sie weitherum die erste Börse. Wer sie verpasst hat, kann sein Glück andernorts versuchen. Pro Velo hat online eine Liste, auf der alle Börsen aufgeführt sind – noch bis weit in den Sommer hinein.