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Ein Schloss für die Leisen
Die Welt wird immer lauter. Die ganze Welt? Nein – eine Ecke am Rand der Schweiz leistet Widerstand. Diese Ecke ist Schloss Werdenberg im Rheintal; dort ist noch bis zum 3. Juni ein neues Festival im Gang, das sich die Schärfung der Sinne, die Kunst des Leisen, die Feier der Stille aufs Programm geschrieben hat: […]

Die Welt wird immer lauter. Die ganze Welt? Nein – eine Ecke am Rand der Schweiz leistet Widerstand. Diese Ecke ist Schloss Werdenberg im Rheintal; dort ist noch bis zum 3. Juni ein neues Festival im Gang, das sich die Schärfung der Sinne, die Kunst des Leisen, die Feier der Stille aufs Programm geschrieben hat: die Schlossmediale.
Im Schloss spukt es. Aus einem Zimmer dringen sirrende Töne, kein Mensch ist drin, die Musik kommt von einer Zither, über deren Saiten ein Tonabnehmer wie von Geisterhand streicht. «Zitterzither» heisst die Installation von Iris Rennert; tritt man näher, übertragen sich die Schwingungen des Besuchers auf das Gerät. Das gleiche erlebt in einer anderen Kammer, wer dem grandiosen «Klangspiegel» von Joachim Haas zu nahe tritt: In der Mitte eines Wasserbeckens fängt ein Tamtam an zu vibrieren und schwillt zu einem gewaltigen Klangdonner an, dessen Wellenschlag im Wasser sich am Gemäuer spiegelt.
Das sind zwei von zahlreichen Klanginstallationen, die eigens für das Festival entwickelt wurden und dem Schlossgeist verspielt und vertrackt die Reverenz erweisen. Dasselbe tun live während den zehn Tagen diverse «Wandelkonzerte». Am Pfingstsamstag etwa tönten eine barocke Geigensonate, Monteverdis «Lamento d’Arianna», das kuriose Instrument namens Theremin oder John Cage auf dem Harmonium durchs Schloss. Sowie Kompositionen des Spaniers José Maria Sanchez-Verdu; dieser schloss als Artist in Residence Zimmer um Zimmer musikalisch auf – zum Finale den Dachstock, wo fünf Sängerinnen und Sängern (Stuttgarter Vokalsolisten) fünf Gongs zum Vibrieren brachten. Das Publikum sass gebannt und vibrierte mit.
Die Schlossmediale füllt das alte Schloss mit Avantgarde. Intendantin Mirella Weingarten hat für die erste Durchführung Cracks wie die Fotografin Donata Wenders, den Land-Art-Künstler Chris Drury, die Fassadenkletterer der Company öff-öff und hochkarätige Musiker ins Werdenberg geholt. Ein kühnes Unterfangen – denn das Schloss war bisher bedächtiges Ortsmuseum sowie Schauplatz der eher traditionellen Schloss-Festspiele (die es auch weiterhin gibt, diesen Sommer mit dem «Wildschütz»). Die regionale Bevölkerung für das künftige Kulturschloss zu gewinnen, sei denn auch eine der grossen Aufgaben, sagt Geschäftsführer Kurt Scheidegger.
Für die Kulturpolitik des Kantons, dem das Schloss seit dem Auszug der letzten privaten Bewohnerin, der legendären Helena Hilty, gehört, ist Werdenberg ein wichtiger Pfeiler. Hier soll die «Südkultur» blühen, das Gegengewicht zur Hauptstadtkultur im regionalpolitisch sensiblen Kanton. Und dafür wird investiert: nächste Woche entscheidet das Kantonsparlament über einen 1,2 Millionen-Beitrag aus dem Lotteriefonds für die Erneuerung des Museums «Schloss und Burgstädtchen Werdenberg»: der weitaus grösste Brocken im aktuellen Lotteriefonds-Programm. Realisiert werden soll damit ein neues Besucherzentrum und zeitgemässe Ausstellungen im Schloss und im «Schlangenhaus».
Werdenberg ist zwar längst eine Touristenattraktion – aber, so erzählen es Einheimische, oft nur als Fotohalt. Carladung um Carladung ergiesst sich ins pittoreske Dörfchen, Klick und der Spuk ist vorbei. Künftig soll es im und beim Schloss wenigstens ordentlich spuken: künstlerisch. Und achtsam. Intendantin Weingarten bedankt sich im Programmheft jedenfalls schon mal bei «unserem leisen Publikum» fürs Interesse.
Schlossmediale Werdenberg, bis 3. Juni.