, 10. August 2021
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Glück nicht gekommen

Ein vergessener Schweizer Autor wird mehr als 40 Jahre nach seinem Tod noch einmal entdeckt: Walter Rufer. Filmemacher Ueli Meier hat sich auf Spurensuche gemacht, heute abend ist der Regisseur im St.Galler Kinok zu Gast mit «Ich habe in Moll geträumt».

Walter Rufer 1958 in München.

«Meine Werke sind noch ungeschrieben. Den Nobelpreis hab ich abgeschrieben. Beim Krämer hab ich angeschrieben.» Es reimt sich immer, und meistens humorvoll, im Tagebuch von Walter Rufer, so auch an diesem 31. Dezember irgendeines Jahres in den 1950ern.

Unter dem Titel Der Himmel ist blau. Ich auch sind die Texte 1963 erschienen, Untertitel Schwabinger Tagebücher. Es sollte das einzige Buch des Autors bleiben.

Dass sich daran noch jemand erinnert, ist dem Münchner Country-Duo Dos Hermanos zu verdanken, das irgendwann auf die Verse gestossen ist, bei seinen Auftritten daraus gelesen und 2007 eine Neuauflage des Buchs in einem Berliner Verlag initiiert hat, ohne eine Ahnung vom Autor zu haben.

Darauf erschien in der NZZ eine Besprechung unter dem Titel «Der Verschollene», die wiederum Rufers Witwe Margrit «wahnsinnig empörte», wie sie im Film erzählt: Für sie sei ihr einstiger Mann, den sie immer «de Walter Ruefer» nennt, und Vater der beiden Kinder Urs und Sara nie verschollen gewesen.

Spurensuche in München und Zürich

Jetzt also die nochmalige, zweite Wiederentdeckung des Autors. Filmemacher Ueli Meier geht auf Spurensuche in München, bei den Dos Hermanos, bei einer Boulevard-Journalistin, bei einem der damaligen Trinkkumpane in Rufers Stammkneipe in Schwabing. Er lässt sich in der Handschriftenabteilung des deutschen Literaturarchivs zwei Briefe Rufers an Erich Kästner zeigen, holt einen Korb unpublizierter und unaufgeführter Theaterstücke Rufers ans Licht und befragt die Witwe und die Kinder des Autors.

Zum Vorschein kommt eine unglückliche Künstler-Existenz. Rufer, 1931 in Zürich geboren, schmeisst den vom Vater erhofften Beruf eines Bankkaufmanns hin, versucht sich in München vergeblich als Schauspieler zu etablieren, schreibt und trinkt, verliebt sich in eine reiche verheiratete Frau, die im Tagebuch «Mariechen» und in Wirklichkeit Brigitte heisst, hat mit ihr einen Sohn und kehrt nach 13 Jahren nach den Worten von Journalistin Gabriella Lorenz «abgewrackt und versoffen» nach Zürich zurück.

Dort lernt er Margrit kennen, heiratet, probt ein bürgerliches Leben als Lehrer, Journalist für den «Brückenbauer» und Familienvater und stirbt 1975 mit 44 Jahren an einer Leberzirrhose.

Der dreifache Nobelpreis

«Er wollte der grosse Dichter sein», heisst es im Film einmal. Für seine Theaterstücke gab es allerdings bloss Absage über Absage, zum Teil mit ungnädigen Urteilen. Seine Tagebuch-Verse berichten von Abstürzen und Katern, von vergeblichen Schreibanläufen, vom Putzen und Verpfänden der Schreibmaschine – Gelegenheitspoesie, die im Tonfall in den besten Momenten an Joachim Ringelnatz erinnert.

«Wo bleibt das Glück?» fragt ein Tagebucheintrag am 1. Januar des «zweiten Jahres». Ein paar Tage später die Antwort: «Glück nicht gekommen».

Kinok St.Gallen, 10. August, 20 Uhr in Anwesenheit des Regisseurs Ueli Meier. Weitere Vorstellungen im August.

kinok.ch

Auch den Nobelpreis erhält Rufer bloss im Traum, dafür gleich in drei Nächten hintereinander – die Verse darüber zählen zu den witzigsten im Buch und im Film. Rufers gereimte Tagebuchnotizen ziehen sich als Tonspur einer gescheiterten Lebenshoffnung durch den Film. Schauspieler Thomas Sarbacher liest aus dem Einzling des Autors wunderbar unaufgeregt und liebevoll.

Die gefilmten Familienszenen bei den Rufers bieten einen manchmal berührenden, manchmal allzu privaten Einblick in eine Familie, die sich einigermassen ratlos einen Reim auf ihren früh verstorbenen Mann und Vater zu machen versucht.

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