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Glücklichsein als Widerstand
Saiten-Kolumnistin Anna Rosenwasser kritisiert den Vorwurf, dass Prides Feste mit Democharakter sind und nicht umgekehrt. Das Feiern macht die Pride nicht weniger politisch.
Die nächste Person, die mich fragt, warum wir an der Pride feiern statt demonstrieren, kriegt eine dieser hässlichen Regenbogen-Fliegen ins Gesicht geschleudert. (Sorry, liebe Landlesben, you do you, aber diese Regenbogenfliegen, uff.)
Hier gehts um den Vorwurf, dass Prides Feste mit Democharakter sind und nicht umgekehrt. Der Vorwurf, das Feiern mache die Pride zu wenig politisch, ist älter als das Frauenstimmrecht – okay, nein, warte, das wäre nicht so alt. Sagen wir, er ist älter als alle unsere Bundesrät:innen zusammen. Das ist wirklich alt.
Es ist schon auch seltsam zu kritisieren, wenn Menschen eine gute Zeit haben. Wann genau sehen wir uns glückliche Menschen an und finden: «Ou nei!» Ich denke das vielleicht, wenn Leute nachts um drei vor meinem Haus noch zu David Guetta abgehen. Während sie mich einschränken in meiner Freiheit, David-Guetta-freien Schlaf zu kriegen, schränkt mich ihr Glücklichsein nicht in meinem eigenen Glücklichsein ein. Hinzukommt: Glückliche, tanzende, feiernde Queers sind eine wichtige Form von Sichtbarkeit. Manchmal habe ich den Eindruck, Leute denken, wir würden alle cis und hetero sein, wenn wir könnten. Ganz ehrlich: Könnte ich wählen, wäre ich noch viel, viel homosexueller.

Anna Rosenwasser, 1990, wohnt in Zürich und ist freischaffende Journalistin. Ihre gesammelten Kolumnen erschienen als Rosa Buch im März beim Rotpunkt-Verlag in Kooperation mit Saiten.
Die Forderung, an Prides nicht zu feiern, sondern zu demonstrieren, kommt nicht von queerfeindlichen Lumpen, sondern häufig von jenen Mitmenschen, deren Herz aussen links schlägt. Meines ja auch, aber deswegen finde ichs trotzdem gut, wenn tausende queere Menschen auch einfach mal feiern. Ja, die Pride hat als Aufstand gegen Polizeigewalt begonnen, ich weiss das sehr gut. Aber ich weiss auch, dass Freude Widerstand ist. In einer Welt, wo Konservative dir das Leben schwermachen wollen, ist Leichtigkeit eine Errungenschaft.
In einer Gesellschaft, wo Menschen deine Existenz beenden wollen, ist es revolutionär, nicht nur zu existieren, sondern manchmal sogar verdammt gerne zu existieren. Wo du gehasst wirst, ist Liebe eine Form von Widerstand. Nicht im Stil von «man kann Hass nicht mit Hass bekämpfen», das halte ich für gaslightenden Blödsinn, ich gestehe allen Queers so viel Wut gegen ihre Unterdrücker:innen zu, wie sie wollen. Nein, uns zu lieben, einander und uns selbst, das ist krass.
An einem Sommertag zu Lady Gaga abzugehen zusammen mit Freund:innen und Fremden, das mag nach einem hedonistischen Zeitvertreib aussehen. Nach einer unpolitischen Art, den Samstag zu verbringen, weil man vielleicht grad kein Demoschild in die Höhe hält und keine Parole skandiert. Aber vielleicht ist dieses Feiern eben der Ausnahmezustand: Wir kämpfen 365 Tage im Jahr dafür, gehört und gesehen zu werden als Minderheit, und an den Prides sind wir – und das soll so bleiben, übrigens – für einmal die Mehrheit. Die Welt hasst uns so stark, dass wir das irgendwann glauben, verinnerlichen, Anteile von uns selbst hassen – und vielleicht fühlen sich genau diese Teile an diesem Tag frei an, womöglich sogar schön.
Ja eh, es braucht mehr politische Anlässe, Aktionen und Initiativen, die sich für ein lebenswertes queeres Leben einsetzen, jetzt mehr denn je. Aber nicht anstatt tanzender, feiernder Queers. Sondern Seite an Seite. Ihr dürft auch eure Regenbogenfliegen anbehalten währenddessen. Solange nicht David Guetta läuft.