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«Ich komme mit offenen Augen»
Tanja Scartazzini heisst die neue Leiterin des St.Galler Amts für Kultur. Die Zürcher Juristin und Kunstexpertin tritt im Sommer die Nachfolge von Katrin Meier an. Einmalig am Kanton St.Gallen findet sie die starke Verankerung der Kultur in den Regionen.

Tanja Scartazzini (Bild: pd)
Tanja Scartazzini ist in Zürich aufgewachsen und hat an der Universität Zürich Rechtswissenschaften studiert. Im Anschluss absolvierte sie an der Zürcher Hochschule der Künste ein Studium der Visuellen Kommunikation mit Vertiefung Theorie der Gestaltung und Kunst. Nach beruflichen Stationen im Kunst- und Galeriebereich war sie ab 2004 für die Fachstelle Kunst am Bau im Hochbauamt des Kantons Zürich verantwortlich. Dieser Bereich wurde im Jahr 2018 mit der Fachstelle Kunstsammlung zusammengeführt, deren Leitung Tanja Scartazzini übernahm.
Die neue Leiterin des Amts für Kultur verfüge damit über eine langjährige Berufserfahrung in der öffentlichen Verwaltung und gleichzeitig eine ausgeprägte kulturell-künstlerische Ausrichtung, heisst es in der Medienmitteilung des Kantons. Tanja Scartazzini löst Katrin Meier ab, die nach 13 Amtsjahren neue Präsidentin der Ortsbürgergemeinde St.Gallen wird.
Saiten: Von Zürich nach St.Gallen: Was reizt Sie an dem Wechsel?
Tanja Scartazzini: In erster Linie fasziniert mich die Vielfalt an Bereichen, die unter dem Dach des Amts zusammenkommen, auf der einen Seite die mehr an der Vergangenheit orientierte Kulturpflege, auf der anderen Seite das zukunftsgerichtete, visionäre zeitgenössische Kulturschaffen. Ich war bisher eher als Spezialistin unterwegs, häufig auch als Einzelkämpferin. Ich komme mit offenen Augen und freue mich sehr, die Leute hier kennenzulernen und für die Kultur mit einem Team zu arbeiten.
Welche Orte kennen Sie im Kulturkanton St.Gallen?
Ich hatte in meiner bisherigen Tätigkeit in erster Linie mit der Bildenden Kunst zu tun, mit dem Sitterwerk regelmässig, und mit einer Reihe von Kunstschaffenden. Es gab Berührungspunkte, aber es wird am Anfang eine meiner Hauptaufgaben sein, tiefer einzutauchen in den Kanton und die Menschen und Institutionen kennenzulernen – was hoffentlich dannzumal auch wieder physisch möglich sein wird.
Ihre sonstigen kulturellen Leidenschaften, abgesehen von der Bildenden Kunst?
Mein Herz schlägt für alle Kulturbereiche. Im Theater und im Zeitgenössischen Tanz fühle ich mich besonders wohl. Andrerseits finde ich die Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe sehr spannend.
In St.Gallen ist gerade die Sanierung des Kunstmuseums vom Stadtrat einmal mehr auf die lange Bank geschoben worden. Was sagen Sie dazu?
Dazu will ich im Moment noch nichts sagen. Ich muss zuerst besseren Einblick in die Gründe und in den ganzen Kontext haben.
Im ersten Beruf haben Sie Jus studiert. Inwiefern sind juristische Kenntnisse brauchbar für die Kulturförderung?
Ich habe davon profitiert, weil ich immer in Verwaltungsstrukturen gearbeitet habe. Es ist ein Vorteil, sich auszukennen in der Sprache, den Strukturen, der Denkweise der Verwaltung. Und es braucht auch eine Übersetzungsleistung zu anderen Bereichen wie der Kultur. Ich fühle mich in beidem zuhause. Persönlich habe ich ebenfalls eine sehr strukturierte Seite in mir und habe die Erfahrung gemacht: Wo etwas gut organisiert ist, gibt es Raum zum Fliegen.
Corona dominiert im Moment das Kulturleben. Was ist Ihre Einschätzung?
Ich sehe die Pandemie zwar auch als Chance – aber es ist gut, wenn sie bald vorbei ist. Als Chance insofern, als sie Zeit und Raum geschaffen hat für eine Rückbesinnung, Türen geöffnet hat für Experimente und neue Formate, für gelungene und auch weniger gelungene. Es gab spannende Prozesse, in der Produktion und in der Reflexion. Aber jetzt ist es gut. Wir brauchen die Begegnungen. Die Jugendlichen – ich habe zwei Kinder im Alter von 14 und 16 Jahren – brauchen sie in besonderem Mass.
Winterthur, wo Sie wohnen, ist eine Kunststadt par excellence. Da hat St.Gallen nicht gleich viel zu bieten.
Winterthur hatte ein starkes Mäzenatentum, das spürt man bis heute. Aber St.Gallen hat andere Qualitäten, die ebenso einmalig sind. Auf den Kanton bezogen meine ich damit als Beispiel die starke Verankerung der Kultur in den Regionen, mit eigentlichen Leuchttürmen. Das Kunstzeughaus Rapperswil-Jona ist grossartig, das Klanghaus im Toggenburg verspricht toll zu werden, auch Schloss Werdenberg und andere Orte. Diese starke kulturelle Präsenz in den Regionen zeichnet den Kanton St.Gallen aus.
Ein grosser Brocken in Ihrer Zeit wird die neue Publikumsbibliothek sein.
Das ist so, und da muss ich mich erst noch intensiv beschäftigen damit. Ich bin gespannt.
Stichwort kulturelle Teilhabe: Ihr Name tönt italienisch. Wieweit ist die Öffnung der Kulturförderung für Menschen mit anderer, besonders migrantischer Herkunft für Sie ein Thema?
Die Scartazzini kommen aus Bondo im Bergell. Es ist ein altes Bündner Geschlecht. Schon mein Vater war aber nach Zürich ausgewandert. Und meine Mutter ist Spanierin. Ich komme aus einfachen Verhältnissen, bin selber im Kulturbereich tätig – und merke oft, was für Gräben zwischen den sozialen Schichten bestehen. Teilhabe ist darüber hinaus auch in meinem jetzigen Arbeitsgebiet ein wichtiges Thema. Mit Kunst am Bau bringt man Kunst auch an Orte hin, wo sie niemand erwarten würde, in ein Parkhaus, einen Werkhof und so weiter – und da spielt es eine grosse Rolle, wie man den dort arbeitenden Menschen Kunst vermittelt, wie man die Leute erreicht und einbezieht.