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Knöppel in den Pfalzkeller
Der Publizist Rolf Bossart macht es sich mit seiner Kunst- und Knöppelanalyse ziemlich einfach. Bei einer solchen Analyse bleibt so Einiges auf der Strecke. Eine kollektive Entgegnung von Jessica Jurassica, Matthias Fässler und Julia Kubik

Ausschnitt aus dem Saiten-Comic Der Penis in der Kunst von Julia Kubik im aktuellen Sommerheft.
Faschismusvergleiche, die Rede von «Cancel Culture» und «Zensur» in den sozialen Medien und Kommentarspalten, die bedingungslose Heldenverehrung von Knöppel (bislang übrigens fast ausschliesslich von Männern), Kulturkampf-Kommentare im «Nebelspalter» und in «die Ostschweiz» – während die WoZ von Zürich her eine «fein geführte Kunstdebatte» attestierte: Der Entscheid der Grabenhalle, Knöppel auf ihrer nächsten Tour nicht bei sich zu veranstalten, hat so einige Gemüter erhitzt.
Öffentlich gemacht und als erster kommentiert hatte diesen Entscheid der Publizist Rolf Bossart in einem Essay auf saiten.ch. Er tat dies in einem intellektuellen Zweisatz, indem er zuerst erklärte, was es denn auf sich habe mit dieser Kunst, die letztlich immer ambivalent und uneindeutig bleiben und fernab moralischer Kategorien verhandelt werden müsse. Knöppel, so das erwartete Fazit danach, machten Kunst im besten Sinne, weil in ihrem Zelebrieren der Männlichkeit immer auch deren Auflösung stecke, weil sich im überbordenden Gestus der Grösse und Macht eigentlich erst die Schwäche und die Selbstzerstörung zeigen würden.
Kunst am Philosophentisch
Das klingt zwar nach einer in sich schlüssigen Logik, nur bleibt das dargelegte Kunstverständnis letztlich ziemlich beschränkt, klammert Bossart doch aus, dass Kunst und Kultur immer in sozialer Interaktion stattfinden. Kunst, möge sie noch so ambivalent, noch so konfliktgeladen sein, trifft zwangsläufig auf Menschen, die sich mit ihr auseinandersetzen. Die Grabenhalle stellt in diesem Sinne einen sozialen und öffentlichen Raum dar, in dem nicht die generelle Frage verhandelt wird, ob nun Knöppel Kunst sei oder nicht, sondern deren konkrete Wirkung. Eine Wirkung, die durchaus problematisch sein kann. So haben nach dem Konzert der letzten Knöppel-Tour zahlreiche Mitarbeitende sowie vereinzelte Gäste von einer sehr unangenehmen Stimmung und übergriffigem Verhalten berichtet.
Wenn wir Kunst als soziale Interaktion begreifen, so ist es auch offensichtlich, dass nicht alle Kunst gleich interpretieren und erleben. Natürlich unterscheidet sich eine feministische oder weibliche Sicht auf das Werk Stoikers von einer männlichen, natürlich können die Texte, kann die Stimmung bei Frauen, Lesben, Inter-, Nonbinären-, Trans- oder Agender-Personen andere Reaktionen auslösen als bei Männern, deren Hoden gerade besungen werden. Eine eigentlich banale Erkenntnis, die in der Debatte jedoch meist komplett ignoriert wird – auch von Bossart.
Vielmehr wird in der Debatte, nicht nur bei Bossart, allzu oft FLINTA*-Personen erklärt, wie sie Kunst zu deuten hätten. Es wird einerseits davon ausgegangen, dass sie die Ironie nicht verstanden hätten und andererseits davon, dass man diese Ironie, Überzeichnung, Provokation ertragen müsse. Auch Bossart suggeriert, dass man aus der Feststellung, dass die Texte Knöppels ironisch gebrochen seien, logischerweise zur Haltung gelangen müsste, das Konzert zu veranstalten. Wir haben die Ironie imfall schon verstanden, aber es nervt halt trotzdem.
Natürlich wäre ein Kunstbegriff auch problematisch, der Betroffenheit und die Frage von Rezeption von Kunst absolut und an die erste Stelle setzt, doch Bossart macht genau das Gegenteil: Er setzt seine männliche Rezeption der Band, die Ironie, den «lyrischen Witz» («Tagesanzeiger») absolut. Er spricht auch lediglich aus seiner persönlichen (männlichen) Erfahrung, wenn er über das Publikum schreibt: «(…) ich wüsste nicht, dass je diese Art der Vermassung der Fall gewesen wäre.» Schön für ihn. Eine solche kunstphilosophische Gelassenheit und einen solchen Umgang mit Kunst muss man(n) sich leisten können.
Awareness, kennsch??
Durch die Fixierung auf einen solch abgehobenen Kunstbegriff und ohne Rücksicht auf die Betroffenenperspektive sagt Bossarts Text im Grunde Folgendes: Ihr fühlt euch nicht unwohl, ihr habt die Kunst/die Ironie einfach nicht verstanden. So werden nicht nur die Emotionen der Betroffenen, sondern auch tatsächliche Übergriffe und strukturelle Diskriminierungen zu einem intellektuellen Missverständnis degradiert, als würden durch das richtige Kunstverständnis Sexismus und übergriffiges Verhalten irgendwie erträglicher, oder sich gleich ganz in Luft auflösen. Dabei geht es bei diesem Entscheid bei weitem nicht nur um die subjektive Erfahrung einzelner Betroffener, sondern ist in eine weit grössere Entwicklung eingebettet.
Seit Jahren wird in Veranstaltungslokalen über Awareness diskutiert, also darüber, wie die Räume grundsätzlich sicherer und diskriminierungsärmer gemacht werden können. Als erster Schritt in diesem Prozess müssen Übergriffserfahrungen sowie strukturelle Diskriminierung ernstgenommen werden. Welche Konsequenz oder Handlung dann entsteht, ist situationsabhängig und muss kollektiv verhandelt werden. Und nein, Awareness hört eben nicht damit auf, ein paar Machos «die Türe zu zeigen», wie Bossart vorschlägt.
Ein Meinungstext zu diesem Thema, der sich weigert, sich mit der Perspektive Betroffener, mit einer feministischen Philosophie oder mit Awareness auseinanderzusetzen, schlägt in eine Kerbe, die uns schneller zum SVP-Parteiprogramm führt, als uns lieb ist. So ist es wenig überraschend, haben sich in der Kommentarspalte rechte Kampfbegriffe wie «superwoke» oder «hypersensibel» sowie direkte Nazi-Vergleiche («Entartete Kunst») angesammelt.
Während sich die Diskussion auf dem Saiten-Terrain verselbständigte, wurden diese Kommentare weder erwidert noch eingeordnet. Wer jedoch eine solche Debatte auslöst, sollte sich auch mit ihr beschäftigen. (Anm. d. Red.: Saiten hat reagiert auf der Facebook-Page, allerdings zu spät. Hier der Kommentar im Wortlaut: Liebe Leute, Nazi- und Faschovergleiche sind hier definitiv deplatziert. Wir bitten euch, in dieser wichtigen Debatte, in der bisher rechtskonservative Kräfte den Ton angeben, die Nettiquette zu wahren. Wir bemühen uns, diese Diskussion differenziert und ohne unnötige Kampfbegriffe wie «Wokenesswahn» etc. zu führen. Wir haben uns dagegen entschieden, bereits erschienene Kommentare zu löschen, um zu zeigen, wie die Debatte entgleisen kann. In Zukunft behalten wir uns aber vor, unangebrachte Kommentare zu entfernen.)
Doch auch im Nachfolgeartikel von Saitenredaktor David Gadze, «Knöppel akzeptieren Grabenhalle-Nein», folgt keine Einordnung. Mit der gezielt platzierten Formulierung des Grabenhalle-Grundsatzes «Kulturhalle für alle» impliziert er, dass dieser Grundsatz mit dem Entscheid, Knöppel das Konzert zu «verweigern», gebrochen worden sei. Dabei ist dieser Grundsatz sowieso viel komplexer, als er klingt. Wer die heutige Grabenhalle und ihre Vergangenheit etwas kennt, weiss, dass das Kollektiv immer mal wieder Veranstaltungen ablehnt – aus ganz unterschiedlichen Gründen – und die Halle also nie «für alle» da war. Zum Glück.
«Halle für alle»
Wenn wir aber über Grundsätze wie «Halle für alle» reden wollen, müssen wir sowieso zuerst etwas ganz anderes anerkennen: Die Schweizer Musikbranche ist männerdominiert. Laut einer von Pro Helvetia in Auftrag gegebenen Studie (2019–2021) liegt der Männeranteil bei Konzerten in den Bereichen Jazz, Pop und Rock bei 90 Prozent. Diese Zahlen sehen auch in den linken Veranstaltungshäusern kaum anders aus, so hat eine Untersuchung in Bern 2018 gezeigt, dass zum Beispiel das Rössli in jenem Jahr 92 Prozent Männer auf der Bühne hatte.
Dass die Frage «wer darf wo spielen?» erst dann gestellt wird, wenn eine Band mit ausschliesslich männlicher Besetzung, die seit Jahren landauf landab tourt, einmal ein Konzert weniger spielen können, respektive dieses an einem anderen Ort durchführen müssen, ist ein Zeichen dafür, dass der Status quo nie ernsthaft als solcher hinterfragt wurde. Wir alle haben diesen Status quo als eine Art Naturzustand kennengelernt und so ist eine aufgebrachte Reaktion auch nicht ungewöhnlich, wenn diese Normalität unerwartet gestört wird, indem einer privilegierten Position etwas verwehrt wird, was sie als selbstverständlich angenommen hat. Anzuerkennen, dass eine krasse strukturelle Ungleichheit herrscht, kann schmerzhaft sein – und zwar für alle Beteiligten.
In anderen Schweizer Städten gibt es übrigens Diversitätsklauseln bei subventionierten Häusern, um dieser strukturellen Diskriminierung entgegenzuwirken. Die Dampfzentrale in Bern zum Beispiel verpflichtet sich dazu maximal zwei Drittel Männer im Programm zu haben. Aber das Thema Subventionierung wird im Text nur als Triggerpunkt gesetzt, der unweigerlich zu einzelnen Stimmen führt, welche für die Streichung der Subventionierung plädieren. Was auch wieder gefährlich nah am SVP-Parteiprogramm landet.
Der Verweis auf die Subventionierung bleibt im Text nicht der einzige gefährliche Triggerpunkt: Am Schluss des Textes versteigt sich Bossart zur These, der Entscheid gegen das Knöppel-Konzert reduziere nicht den angeprangerten Sexismus, sondern verstärke diesen noch – eine Behauptung, die oft gebracht wird, um verschiedensten Formen von Aktivismus die Berechtigung abzusprechen. Das Argument wirkt umso deplatzierter, als Bossart in seinem Text weder die von der Grabenhalle beschriebene problematische Wirkung der Band anerkennt, noch – abgesehen vom Vorschlag, einzelne Typen rauszuschmeissen – Ansätze für eine kritische Auseinandersetzung damit liefert. Eine kritische Auseinandersetzung übrigens, der sich die Band seit jeher verweigert – mit zum Teil abstrusen Argumenten wie etwa jenem auf der Knöppel-Homepage, dass Sänger Midi nicht in der Stadt St.Gallen wohne und ihn die Debatte darum nichts angehe.
Der fragile Mann
Räume, in denen Männlichkeit spielerisch ausgelebt, dekonstruiert und vielleicht sogar transformiert werden kann, sind wünschenswert. Aber solche Räume zu kultivieren, bringt Verantwortung mit sich, denn Männlichkeit ist nicht nur fragil, männliche Sexualität nicht einfach prekär, wie von Bossart dargestellt. In Stoikers Texten, so Bossart, löse sich die Ironie, die Provokation immer in Schwäche auf.
Natürlich ist Männlichkeit eine Art des Souveränitätstheaters, weil sie Stärke vorgibt, wo auch viel Schwäche ist. Aber in ihrer realen Auswirkung ist Männlichkeit allzu oft genau das Gegenteil von Schwäche, vielmehr ist sie: übergriffig, gewalttätig, mächtig, herrschaftlich, rücksichtslos. Also genau so, wie Betroffene ihre Erfahrungen am Knöppel-Konzert von vor vier Jahren beschrieben haben, wo sich diese Ambivalenz in den Texten eben nicht in Schwäche aufgelöst hat, sondern in ihrem Gegenteil: in einer aufgepeitschten Männlichkeit, in Übergriffigkeit. Aus einer privilegierten Position heraus kann man sich easy erlauben diese dunkle, patriarchale Seite der Medaille nicht mitzudenken. Aber für alle, die keine weissen cis Männer sind, werden diese Räume allzu schnell zur Gefahrenzone.
Geniekult als Schutzschild
Über den Knöppel- und Bossart-Tellerrand hinausgeschaut: Es ist nicht neu, dass Männlichkeit (auf vulgäre Art) in Kunst und Popkultur verhandelt wird. Es wimmelt nur so von (aus männlicher Perspektive formulierten) Wichs/Ständer/Blowjob/Fick/Porno/Gewalt/Geilheitsfantasie-Texten in Musik, Kunst und Literatur. Figuren wie Bukowski, Boroughs, Houellebecq oder Lindemann wurden und werden als Genies verehrt, und die ganzen zwiespältigen, potenziell missbräuchlichen, abwertenden Frauengeschichten (ob im echten Leben oder als lyrische Figuren) um sie herum werden dann im Zuge von «genialer Kunst» und «lyrischem Ich» gerne einfach hingenommen und nicht weiter beleuchtet.
Schreiben hingegen Frauen derb, kompromisslos und ehrlich über Sex, Pornografie oder persönliche Abgründe, wird es in der öffentlichen Rezeption oft direkt in eine Ekel-Ecke gestellt oder skandalisiert. Stefanie Sargnagel zum Beispiel hatte wegen einer einzigen provokativen Zeile einen so überwältigenden Shitstorm am Hals, dass sie schliesslich einen Hörsturz erlitt. Oder Kim de L’Horizon ist enorm viel Hass ausgesetzt, einfach weil dey offen über queeren Sex schreibt und literarisch, aber auch nur schon durch die alleinige Existenz des eigenen nonbinären Körpers, Männlichkeiten herausfordert. Während cis Männer also für edgy Kunst tendenziell eher gefeiert werden und oft kein Skandal ihren Geniestatus zu beschädigen vermag, werden andere öffentlich dafür bestraft.
Ein weiteres entlarvendes Beispiel für die herrschende Doppelmoral sind die Reaktionen auf den Song cis männer der Schweizer Band ENL: Immer wieder wird über diesen Song gesagt, er sei diskriminierend, männerfeindlich, extrem daneben. Bei Männern, die ironisch frauenverachtende Texte singen, scheint allgemein viel mehr Bereitschaft da zu sein, provokative Ironie als Kunstform zu verteidigen, als es bei FLINTA*-Personen der Fall ist. Diese Doppelmoral sollte uns doch zumindest stutzig machen, nicht zuletzt, da es angesichts der Machtverhältnisse keine Diskriminierung gegen Männer gibt, während Diskriminierung gegen FLINTA*-Personen schmerzlich real ist, von alltäglich bis lebensbedrohlich. Mit Begriffen wie «Männerdiskriminierung» oder «Misandrie» sind wir auch abermals bei Vokabular gelandet, das ursprünglich aus rechten, antifeministischen Bewegungen stammt.
Wichs on
Am Ende wird das Patriarchat nur weiter aufrechterhalten, wenn die reflexartige Reaktion ist, dass das Einbeziehen einer Betroffenenperspektive gute Kunst verhindere, anstatt sich zuerst ernsthaft mit den Machtverhältnissen und der angebrachten Kritik auseinanderzusetzen. Eine Position zu Männlichkeit ohne kritische Auseinandersetzung mit den herrschenden Machtverhältnissen und ohne Rücksicht auf andere Perspektiven als die cis männliche, ist in den meisten Fällen eine antifeministische Position.
Bei Knöppel liesse sich ja durchaus fragen, warum denn diese fragile Männlichkeit zu ihrer Darstellung und Offenbarung und letztlich Dekonstruktion noch eine solche Betonung der eigenen Stärke und Texte (wie «i ha di immer no gern..au wennt di nüme figge losch») benötigt. Bei Bossart klingt es fast so, als ob die Würde des kleinen Mannes nicht auch anders besungen werden könnte. Provozieren oder Tabus brechen wird man mit diesen Texten schon lange nicht mehr. Und sowieso: Ist es überhaupt noch Punk, wenn Herrschaftsverhältnisse zementiert, anstatt gestört werden? Die Verweigerung der kritischen Auseinandersetzung mit diesen, ist jedenfalls ziemlich spiessig.
Vielleicht wäre ein Knöppelkonzert inzwischen im Pfalzkeller besser aufgehoben.
Anm. d. Red., 10. Juli: In einer ersten Version dieses Beitrag wurde auch die Stoiker-Textzeile «d’Fraue sind alles Schlampe..» zitiert. Dieser Song wird seit über 15 Jahren nicht mehr auf der Bühne gespielt – aus eben diesen Gründen.
Jessica Jurassica war einmal menstruierend an einem Knöppel-Konzert. Sie ist Musikerin, Autorin und Boybandexpertin. Als solche mischt sie sich auch mal aus den USA in lokale Debatten ein.
Matthias Fässler ist Historiker und mit der Grabenhalle nicht nur befreundet, sondern sitzt auch in der Betriebsgruppe, die sich gegen eine Veranstaltung mit Knöppel entschieden hat.
Julia Kubik ist Künstlerin, Provinzforscherin und viel im Internet. Der Knöppeldiskussion hat sie einen Comic gewidmet, in dem nur Penisse agieren. Ist das noch Ironie?
Freunde, eine Kritik von einem linken Publizisten in einem linken Magazin mehrmals mit dem SVP-Parteiprogramm zu vergleichen und damit zu versuchen, den Autor persönlich zu diskreditieren und in die rechte Ecke zu stellen, zeigt leider deutlich auf, wie unangebracht eure Reaktion auf Rolf Bossarts Text ist.
Hast du den Text gelesen? Da steht:
„(..) schlägt in eine Kerbe, die uns schneller zum SVP-Parteiprogramm führt, als uns lieb ist.“
Das ist kein Vergleich, sondern zeigt eine Richtung an, die eine Debatte annehmen kann (bzw. angenommen hat).
Lieber Ruedi, es spielt keine Rolle, ob es sich um einen Vergleich oder einen Richtungsweiser handelt. Fakt ist, dass die SVP-Aussage als Totschlagargument dient. Damit wird ausschliesslich versucht, Bossart als Autor zu diskreditieren, indem seinem Denken eine gewisse Nähe zum politischen Klassenfeind unterstellt wird. Eine klassische Nazikeule, die einer Diskussion noch nie dienlich war.
Ich kenne Bossart nicht – weil ich nicht in St. Gallen lebe? – aber von wegen „Klassenfeind“, liest er sich in seinem Text gar nicht als ob er „linker“ Denker sei, sondern der Text ist reaktionär und voll von „Culture War“-Argumenten, die sonst die „Weltwoche“ bedient. Bossarts Essay nutzt eine ähnliche Argumentation gegen „Wokeness“ wie der „Denker-Flügel“ der Amerikanischen Republikaner, da kann er noch so „links“ sein. Sowas fällt nicht Betroffenen vielleicht nicht auf, wenn man es nicht speziell erwähnt, aber das ist sozialpolitisch sehr gefährlich und deshalb wichtig zu erwähnen und kein Totschlagargument!
Den Faschismus der einmal um die Ecke steht müssen wir also totschweigen nur um hier die sensiblen männlichen Gefühle zu schonen?
Und erkläre uns mal warum die Kommentarspalte voll ist vom woke-Gejammer wenn die SVP so weit weg sein soll?
Zweifelsohne wird Knöppels Musik von Männern anders aufgenommen als von FLINTA-Personen. Unterschiede in der Rezeption je nach Gruppenzugehörigkeit gehören aber zum Wesen von praktisch aller Kunst und auch sonst noch einigem. Knöppel stellen einen lächerlichen, aber in seinem Umsichschlagen offenbar nicht gänzlich unsympathischen Mann (richtiger: eine Männerfigur) auf die Bühne. Was ist daran auszusetzen? Warum müssen die Autor:innen mit SVP und Pfalzkeller kommen?
Ich habe Knöppel im linksalternativen, sehr FLINTA-affinen Radio, in dem ich sehr gerne arbeite, etliche Male und beschwerdefrei laufen lassen. Den Entscheid der Grabenhalle verstehe ich nicht. Auch in Kulturzusammenhängen muss man unangenehme Typen und A-löcher aushalten können. Und falls es zu weit geht, gibt es zB. Lokalverbot. Wenn man die Musiker ausschliesst, die zum Teil solche Leute anziehen, fängt man am ganz falschen Ende an.
Und schliesslich: Bossart hat keineswegs allen gesagt, wie sie Kunst zu verstehen haben, sondern seine Perspektive aufgeschrieben. Da gleich Bevormundung, Rücksichtslosigkeit oder Schlimmeres zu wittern, finde ich befremdlich. Ich würde sogar sagen, er hat versucht zu erklären, warum Knöppel gerade eben doch bestehende, männlich dominierte Machtstrukturen hinterfragen, was in ihrem Fall heisst: den Mann ins Absurde, Hilflose (und oft sehr Lustige) zu verzerren.
Ich würde mir mehr Zuhören, mehr offene Debatten und weniger Verbote wünschen.
falls die finta*-affinität vom stadtfilter dem kommentar kredibilität geben soll: die letzten paar dutzend „alben der woche“ sind mit grosser mehrheit acts mit ausschliesslich cis männern und als ich das letzte mal (im frühling) stichprobenartig aus interesse die playlists durchgesehen hab, war die quote von finta*-acts auch eher tief. finta*-affin find ich also ein bisschen hochgegriffen, auch wenns im selbstverständnis, der aussenkommunikation und in anderen bereichen durchaus so sein mag, fehlts im bereich der musik ein bisschen. und darum und um exkludierung gehts u.a. in der diskussion.
„Auch in Kulturzusammenhängen muss man unangenehme Typen und A-löcher aushalten können. Und falls es zu weit geht, gibt es zB. Lokalverbot. Wenn man die Musiker ausschliesst, die zum Teil solche Leute anziehen, fängt man am ganz falschen Ende an.“ Lieber Dominik, ich muss deinem Kommentar entschieden widersprechen. Es ist diskutabel, ob und wie Arschlöcher und unangenehme Typen auf einer Bühne/ in der Kunst gezeigt bzw. wie diese reflektiert werden sollen. Es ist jedoch absolut indiskutabel, dass unter dem Deckmantel der Kunst, Menschen(historisch gesehen halt weisse hetero cis Boys) sich neben und hinter der Bühne wie Arschlöcher verhalten und/oder eine Stimmung fördern, die ebensochles Verhalten mit sich bringt. Ich kenne das von der Arbeit im Theater. In den 90ern gabs da die ‚Sperma/blut Theater Epoche‘, in der schonungslos Arschlochtum auf die Bühne gebracht wurde, um der Gesellschaft zu zeigen, dass sie von diesen Arschlöchern durchtränkt ist. Mann wollte die Welt schockieren und das Arschlochtum in der Gesellschaft entlarven. Arschlöcher seien Teil der Kultur, also ist Mann halt selber ab und zu eins. Dadurch sind Missbrauchsstrukturen enstanden bzw. weiterhin zementiert worden, unterdenen Flinta Personen enorm gelitten haben und immernoch leiden. Hauptsache die Kunst war deep und cool. Das ist ein Beispiel, was aufzeigt, dass eben, wie die Autor:innen beschreiben (sofern ich sie richtig verstanden haben), das Geschehen auf einer Bühne nicht vom Geschehen abseits davon getrennt werden kann. Im Namen dieser Trennung von Veranstaltung und Kunst, wurden Missbrauchsstrukturen eben nie wirklich angegangen. Deshalb begrüsse ich den Entscheid der Grabenhalle, dieser Band keine Plattform bieten zu wollen, um betroffene Menschen zu schützen, denn jahrelang war es uns, im Namen deiner Argumente, die du hier schilderst, schändlicherweise egal, was da für Sachen passiert sind(ich will nicht sagen, dass es dir persönlich scheissegal war/ist, ich kenn dich ja nicht. Die Argumentation für die Rechtfertigung solcher Verhaltensweisen war aber leider die Gleiche, oder zumindest sehr ähnlich). Die Grabenhalle ist bereit, was gegen diese Kultur zu tun, und das rechne ich ihnen hoch an. Es kann sein, dass die getroffenenen Entscheidungen manchmal diskutabel sind. Indiskutabel wäre, weiterhin so zu verfahren, wie es seit jeher gemacht wurde. Denn diese Art und Weise war und ist verheerend. Danke den Autor:innen für diesen sehr differenzierten lehrreichen Artikel. Liebe
“Wir haben die Ironie imfall schon verstanden, aber es nervt halt trotzdem.”
Und weil es euch drei und einige andere anonym gebliebene nervt, werden die, die die Songs lieben ins rechte Eck gestellt, als latent gefährlich und mindestens als frauenverachtend dargestellt? Als hinterwäldlerische, hirnlose, schwanzgesteuerte Fans einer verirrten Stilrichtung? Als unwissende Unbekehrte, die noch immer nicht den rechten (!) Weg gefunden haben?
Eure in sehr viele Worte gefassten, aber letztendlich doch sehr pauschalisierenden Überzeugungen nerven.
Wenn euch Knöppel nervt, dann geht nicht hin! Aber stellt nicht alle die als dumm und ignorant hin, die es nicht nervt.
Ihr seid dabei, der Kultur die Luft zu nehmen und eure Dogmatik macht mir Angst.
Bravo. Dieser Artikel zeigt, wie sich mündige junge Menschen differenziert mit der Gesellschaft und den vorherrschenden Verhältnissen auseinandersetzen. Auch wenn dann vielleicht persönlich einmal eine Programm-entscheidung nicht gefällt: Jede Generation schneidet ein paar alte Zöpfe ab, da sollte man nicht so empfindlich reagieren. Und im Sinne einer kritischen Demokratie ist ein Ort wie die Grabenhalle, die Raum bietet, um solche gesellschaftlichen Debatten zu führen, jeden einzelnen Rappen Steuergeld wert.
Zum Glück hatte ich eine geile Zeit in der Grabe. Ich bin ja zwischenzeitlich rausgewachsen.
Der Fässler übertreibt es völlig. Alles wird überinterpretiert, debattiert, in nie beabsichtigte Zusammenhänge gebracht. Lasst ruhen. Und an Fässler und Konsorte. Macht doch einen Debatierclub oder gib das Moralapostel sonst irgendwo. Es ist irgendwie peinlich was hier abgeht. Unnötig. Es geht ja nur um ein bisschen Punk.
Das goldene Stück Scheisse 2023 geht an Fässler.