, 27. Februar 2023
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«Mächtig ihr Mannsteufel!»

Die St.Galler Kellerbühne spielt im März eine Theaterrarität: Der Weibsteufel von Karl Schönherr ist ein mehr als 100-jähriges Psycho-Kammerspiel um eine Frau zwischen zwei Männern. Am Mittwoch ist die Premiere.

Adrian Furrer, Boglárka Horváth und Alexandre Pelichet proben den Weibsteufel. (Bild: Timon Furrer)

«Weib» nennt sie der Mann. «Mann» sagt sie zu ihm. Die beiden haben keine Namen, ebensowenig wie der Dritte auf der Bühne, der «Jäger». Sie sind Typen, Archetypen einer Dreiecks-Tragödie, die sich vor der Kulisse einer archaischen Bergwelt abspielt.

Das Stück mit dem Titel Der Weibsteufel stehe schon lange auf seiner Wunschliste, sagt Kellerbühne-Leiter Matthias Peter. Der in Tirol aufgewachsene und später in Wien erfolgreiche Autor Karl Schönherr (1867-1943) schrieb es 1914 – fast 100 Jahre später, 2008, wurde es vom Regisseur Martin Kusej im Akademietheater Wien erneut aufgeführt, und zahlreiche andere Theater zogen nach; die Kellerbühne bringt die St.Galler Erstaufführung heraus.

«Jetzt sag», beginnt der Mann: «Haben wir ein einzigsmal gstritten in all diesen Jahr?» – «Wir sind immer gut auskommen. Ich weiss von kein Streit», sagt das Weib. Es ist die Anfangsszene, die Boglárka Horváth und Adrian Furrer als «Weib» und «Mann» an diesem Vormittag Anfang Februar proben, mit dem «Jäger» Alexandre Pelichet als Beobachter im Hintergrund. Scheinbar harmlose Sätze, aber wir im Publikum wissen es besser. Denn in seiner Inszenierung nimmt Matthias Peter das tödliche Ende der Geschichte vorweg, der Schluss ist zugleich Prolog, das Stück eine Art Rondo: «Gut denn – noch einmal von vorn.»

Streit um «Schmugglerwaar»

Der Regiekniff soll die Geschichte aus der naturalistischen Konkretheit heraus ins Allgemeingültige drehen. Ihn interessiere der so archaische wie zeitlose Konflikt, den das Stück entwirft, sagt Regisseur Peter. Eine existenzielle Situation, vergleichbar mit Sartres Huis clos: Drei verletzliche Figuren, allesamt Opfer wie Täter, sind unentrinnbar ihrem Schicksal ausgesetzt. Und wie bei Sartre gelte nicht nur: «Die Hölle, das sind die andern». Vielmehr stecke das Teuflische in jeder der Figuren mit drin.

Der Weibsteufel: 1. bis 15. März, Kellerbühne St.Gallen

kellerbuehne.ch

Drei Stabellen, eine Truhe, in der das Weib sein Geheimnis hütet, ein Tornister, Vorhänge, bäurische Kleidung: Auf der Bühne reichen wenige Requisiten, um Zeit- und Bergkolorit anzudeuten. Der Mann, noch nicht alt, aber krank, lebt auf seiner abgelegenen Hütte von der Ware, die er den Schmugglern abnimmt und weiterverkauft. «Schmuggelwaar ist feine Waar» – vom damit verdienten Geld verspricht er seinem Weib ein stattliches Haus im Dorf, so bald wie möglich.

Aber jetzt ist dem «schlauen Fuchs» der neue Jäger auf den Fersen, mit dem Auftrag, das Weib dafür zu umgarnen. «Ein bissl verliebt» soll er sie machen, bis sie redet. Bloss hat der Mann davon Wind bekommen und spannt seinerseits die Frau für seine Hehlerzwecke ein: «Wenn uns einer eine Grube grabt, dann müssen wir gegengraben».

Von beiden Männern zum Spielball gemacht, spielt das Weib eine Zeitlang mit. Und fängt dann an, die Fäden selber zu ziehen. Wie, das entwickelt sich in knappen Dialogen über fünf Akte hinweg als psychologisches Kammerspiel. Ein «gewaltig gut geschriebener Text», sagt Matthias Peter, und auch die drei Schauspieler:innen loben die elementare Sprachwucht und die präzisen Dialoge – Qualitäten, für die der Autor zu Lebzeiten hoch geschätzt und oft in einem Atemzug mit Schnitzler genannt wurde.

Dämonisiert oder emanzipiert?

Der «Weibsteufel» im Titel könnte dabei erstmal skeptisch stimmen: Wird da einmal mehr eine starke Frau von den Männern dämonisiert? Boglárka Horváth, die das Weib spielt, sieht es anders. Im Wort «Weib» klinge nichts Abschätziges an, der Mann verwende die Anrede im Gegenteil liebevoll. Und im Verlauf des Stücks gelinge der Frau tatsächlich die «Selbstbemächtigung», wie die Regie es nennt: Sie lässt sich nicht länger von den «Mannderln» manipulieren, sondern manipuliert sie ihrerseits. Auch wenn am Ende dann auch sie, wie die Männer, ihre Träume begraben muss.

«Mächtig ihr Mannsteufel! Euch ist man noch über», triumphiert das Weib im fünften Akt. Wieviel Emanzipation in dem Stück steckt, kann man diskutieren – unter anderem beim Publikumsgespräch nach der Vorstellung vom 5. März mit Judith Grosse vom Archiv für Frauen-, Geschlechter- und Sozialgeschichte.

Mit der jüngsten Eigenproduktion setzt die Kellerbühne ihre lange Liste von selten gespielten Theatertexten fort – darunter in den letzten Jahren auch Werke mit St.Galler Bezug wie Hans Rudolf Hiltys Ekkehard Gilgs Häutung oder Viktor Hardungs Kulissenklatsch.

Diesen Frühling bringt Matthias Peter neben dem Weibsteufel gleich zwei weitere Produktionen heraus. Am 24. März ist sein Monolog über Johann Jakob Keller, den Zürcher Bankpionier, unter dem Titel Nöd lugg loh gwünnt zu sehen, und im Mai folgt Wolfgang Borcherts Solo Schischyphusch, begleitet von Urs Gühr am Klavier. Was das Publikum betrifft, ist Matthias Peter optimistisch: Momentan sei die Kellerbühne wieder so gut besucht wie vor der Pandemie.

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