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Monster, Geigen, Katastrophen
Die schwarz-weisse Katze schnurrt wieder: Am 29. und 30. April macht die Kurzfilmnacht im St.Galler Kinok in der Lokremise Halt. An zwei Abenden wird dreieinhalb Stunden Filmgenuss aus aller Welt, aber auch aus der Region gezeigt – Made in St.Gallen. Von Sandra Cubranovic

Filmstill aus «Carrion».
Eine Person im Batik-Einteiler erhebt sich gähnend von einem Stuhl, streckt sich, steht auf und schlüpft in die schwarzen Birkenstocks. Das Augenreiben erübrigt sich, die Person trägt Schwimmbrille. Müden Schrittes schlurft sie ins Badezimmer – da liegt eine weisse ächzende Figur in der Badewanne. Die Wanne ist gefüllt mit Flaschen, die Flaschen sind leergetrunken.
Der Batikmensch braust das weisse Monster kurzerhand mit dem Duschkopf ab, was für lautstarkes Gezeter sorgt. Aus der Toilettenschüssel lugt plötzlich noch ein zerknülltes Wesen raus. Die Badezimmertür wird aufgerissen und ein rotes Mandli schimpft wütend in den Raum. Doch da sind noch mehr Anwesende: ein kleines, sehr anhängliches Etwas, das kuscheln will, ein giftgrünes, rauchendes Wesen und eine blaue Figur, die traurig ihre Brüste zupft und bitterlich weint.
Die 23-jährige Luisa Zürcher, Künstlerin und Filmschaffende aus St. Gallen, erzählt in ihrem Animationsfilm Sisch wies isch von Luisel, die mit ihren Launen in einer WG wohnt. Der gemeinsame Alltag gestaltet sich konfliktreich und die Figuren geraten mal mehr, mal weniger aneinander. Im Gefühlschaos von Wut, Traurigkeit, Liebe, Faulheit und Eifersucht versucht sich die Hauptfigur zu sortieren.
Der Film vermittelt gefühlvoll Situationen, wie sie jede:r kennt, den Kampf und den Wirrwarr mit den eigenen Dämonen und Launen. Sisch wies isch eröffnet die diesjährige Ausgabe der Kurzfilmnacht.
Ein Fädelmeitli mit grossen Träumen
Mit Saitenstich, dem Film der 22-jährigen Raphaela Wagner, folgt ein nicht unbekannter Film. Die Filmschaffende aus Wartau hat es mit dem 12-minütigen Drama an die diesjährigen Solothurner Filmtage geschafft.
Die Geschichte um ein «Fädelmeitli» spielt im Jahre 1902. Die Textilstadt St. Gallen befindet sich in der Hochblüte der Stickereiindustrie. Als Arbeiterkind hat Emma, die Hauptdarstellerin, die Aufgabe, Fäden für die Handstickmaschine einzufädeln. Doch sie träumt vom Geigenspiel und stiehlt sogar reissfestes Garn von einem Händler, um die Saiten auf ihrer Geige für einen kurzbevorstehenden Auftritt zu ersetzen.
Gedreht wurde in der St. Galler Altstadt oder im Lindensaal in Heiden, Wagner entführt in eine Welt von damals. Doch die Botschaft vermittelt die Bedeutung von Visionen, Mut und Träumen, Themen die über kein Verfallsdatum verfügen.
Der geflügelte Schnabeldoktor in der Post-Pandemie
Das Programm «Made in St. Gallen» fährt fort mit Carrion von David Odermatt, Jorrit Stadelmann und Raoul Hayoz. Der vierminütige Katastrophenfilm zeigt einen Pestdoktor, wie er durch ein von einer Pandemie verwüstetes und verwahrlostest Dorf streift. Subtile Erinnerungsfetzen einer intakten Dorfgemeinschaft wechseln sich ab mit Bildern des Verderbens: fröhliches Stimmengewirr im Wirtshaus, Ratten, die über die leeren Tische huschen, Klage- und Heulgeräusche beim Streifzug durch den Friedhof.
Die bildstarke, düstere 3D-Animation endet damit, dass der Schnabeldoktor beim Dorfbrunnen einen noch lebenden Mann antrifft, Hand in Hand mit seiner verstorbenen Frau. Nachdem der Pestdoktor eine auf seinem Weg mitgenommene Bibel auf den Schoss des Überlebenden gelegt hat, tritt der Doktor in die Helligkeit und spannt seine schwarzen, überdimensionalen Flügel, die sich durch seine Schultern drücken und hinauswachsen, in den Himmel.
Atmosphärische Klänge im Aquarium
Die St. Galler-Fraktion komplettiert sich mit Cornwall von Lasse Linder (*1994 in St. Gallen) . Der atmosphärische Sound des Indie-Pop-Duos Mischgewebe begleitet Ivan, einen Reinigungsmitarbeiter, durch seine Arbeit im Aquarium. Das Narrativ spannt sich von unbekümmerten Szenen, in denen Ivan entspannt durch die Gänge schlendert, zu dem Moment, wo er schluchzend in sich gekauert weint.
Der in Blautönen gehaltene Kurzfilm zeigt in langsamer Kameraführung mystisch anmutende Bilderwelten an einem doch ungewöhnlichen Schauplatz. Lasse Linders filmische Arbeit wurde schon mehrfach seitens renommierter Filmwettbewerbe anerkannt, beispielsweise das 2019 realisierte Melodrama Nachts sind alle Katzen grau, das mit dem IWC-Kurzfilmpreis am Toronto International Film Festival ausgezeichnet wurde.
Kurzfilmnacht St. Gallen, 29. und 30. April
19:00 MADE IN ST. GALLEN
20.10 SWISS SHORTS
21.30 UMFALLEN, AUFSTEHEN, WEITERFAHREN
22.50 SISTERHOOD
00.00 SPLATTER LIGHT
Das Programm der ganzen Kurzfilmnach zeigt im Kinok St. Gallen im Anschluss an «Made in St. Gallen» die Rubrik «Swiss Shorts», Arbeiten von schweizerischen Filmschaffenden. Darauf folgen themenspezifische Blöcke. «Umfallen, Aufstehen, Weiterfahren» bringt Filme zum Skateboarding, bei «Sisterhood» stehen Frauenverbindungen im Fokus, und zum Schluss können die Zuschauer:innen ins «Splatter Light», in schaurig-düstere Geschichten eintauchen.