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noch unverletzt…
Der 1979 gestorbene St.Galler Dichter Joseph Kopf hat Komponisten schon mehrfach inspiriert. Jetzt bringen der Chor Inscriptum und Tubaspieler Karl Schimke einen ganzen Zyklus zur Uraufführung: «jenes blaue läuten» von Felix Falkner erklingt am Wochenende zweimal in St.Gallen sowie in Teufen. Ein Probenbesuch.

Komponist Felix Falkner. (Bild: pd)
Sopran und Alt halten ein langes «o», einzelne Stimmen flüstern dazu Silben und Worte. Daraus wächst eine karge Melodie, eine komponierte Atem-Pause unterbricht sie, dann ein gewaltiges Crescendo auf das Wort «bedroht» und die Rückkehr ins Pianissimo. Im Schlussakkord halten h, cis und fis eine empfindliche Balance, bis die Tuba übernimmt.
In ein paar wenigen Takten spielt sich ab, was der Dichter in ebenso knappe Worte gefasst hat:
noch unverletzt
aber
auch schon vom atem bedroht
Es ist eines der reduziertesten Gedichte aus den späten Jahren des St.Galler Dichters Joseph Kopf. Einer von 14 Texten, die Komponist Felix Falkner für den Chor Inscriptum und Tubaspieler Karl Schimke vertont hat. Jenes blaue läuten nennt er seinen rund einstündigen Chorzyklus, sein bisher umfangreichstes vollendetes Werk, und im Untertitel: «Nachrufe zu Joseph Kopf».
Dichter der Todesnähe
Joseph Kopf? Der Name ist vermutlich einer jüngeren Generation kaum noch geläufig. Kopf, Jahrgang 1929, wuchs in St.Gallen auf, brach eine Bankkarriere ab, lebte einige Jahre in Wien als Assistent des Künstlers Ernst Fuchs, fand in Israel vorübergehend sein Traumland und kehrte schliesslich nach St.Gallen zurück.
1977 nannte er sich selber im Band dem kalten sternwind offen einen «hoffnungslosen Autobiografen» und ergänzte, in St.Gallen sei es ihm im Kreis um Max Oertli, Ben Ami und die Kellerbühne gelungen, «mich doch noch, soweit dies einem Menschen wie mir überhaupt möglich ist, zu Hause zu fühlen». 1979 starb Kopf in St.Gallen.
Vielen galt und gilt er als St.Gallens grösster Dichter. Ihn selber habe schon als Jugendlichen das Depressive, die Todesnähe in Kopfs Lyrik angezogen, sagt Felix Falkner. Sie zu vertonen, sei aber erst vor ein paar Jahren für ihn zum Thema geworden, auch aus dem Eindruck heraus, «wie still es um Joseph Kopf geworden ist». 1992 hatte der Rimbaud-Verlag in Aachen zwei Bände mit Gedichten herausgebracht, 2002 zeigte die Kantonsbibliothek eine Ausstellung zu Kopf, alles lange her. Gedichte von Joseph Kopf haben unter anderem Paul Giger (Zyklus eiswasser) oder Alfons K. Zwicker vertont.
Ihm gehe es darum, einen Klangraum für die Gedichte zu schaffen, sagt Falkner. «Ich bin kein Avantgardist» – seine Tonsprache umschreibt er als «Ausdrucksmusik», grundsätzlich in Dur und Moll angesiedelt «mit ein paar verqueren Klängen». Die es dann allerdings, wie man beim Hören feststellt, in sich haben.
Zentral für ihn sei es, den Text zu würdigen und zu transportieren, ihn nicht bis ins Unverständliche zu fragmentieren. Zudem arbeitet er mit wechselnden Formen; einmal erklingt ein Choral, andere Stücke sind als Passacaglia oder als Kanon angelegt, der Chor singt neben traditioneller Vierstimmigkeit auch in Gruppen.
Am stärksten «dekonstruiert» sind die kargen und eisigen Kopftexte wie das oben zitierte noch unverletzt – solche Stimmungen holt der Komponist packend hervor, wenn sich etwa in sonst (angesichts des todes) die Vokale verselbständigen zu einem beklemmenden Staccato, als klanggewordene «pilgerfahrten zu blauen eisziegeln», wie es im Gedicht heisst.
Daneben kommt aber auch der frühe, noch spätromantisch inspirierte Kopf-Ton der ersten, im St.Galler Eirene-Verlag erschienenen Gedichtbände zu Ehren. Isis oder Die weissen Hände bluten zählen zu diesen noch gereimten und strophigen Versen, die Falkner grosszügig gesanglich ausbreitet und immer wieder zu schmerzlichen Reibungen führt. Hier findet der Dichter «Trost in Qualen», lässt die «gelben Blumen» oder Rosen blühen – während ihm später nur noch weiss, grau oder eisiges blau als Worte zur Verfügung sind.
Dazwischen «spricht» die Tuba
Die Kontraste verstärkt Falkner durch die Besetzung – einerseits der Chor a cappella, andrerseits die Tuba mit ihren Zwischenspielen. Chor und Instrument lösen sich nahtlos ab, greifen staffettenartig ineinander. In die Tubapartien habe er Elemente aus Kopfs Biografie musikalisch eingeflochten, erläutert Falkner: die Einsamkeit, die Sehnsucht nach Liebe oder die Israel-Erfahrung, die in Motivzitaten aus dem jüdischen Kol Nidrei im Tubapart eingearbeitet ist.
An der Tuba fasziniert Falkner die physische Präsenz, das gewaltige Klangspektrum, auch das «Riskante», das in der Tongebung mitschwinge. Für Karl Schimke, den Tubisten im St.Galler Sinfonieorchester, hat er immer wieder Werke in unterschiedlichen Besetzungen komponiert, von Solostücken und Duos bis zum Tubakonzert namens «T.», komponiert 2000/2004 und bisher in St.Gallen unverständlicherweise noch nicht aufgeführt.
Felix Falkner, Jahrgang 1964, war lange Jahre als Cellist, Chor- und Orchesterleiter tätig, wechselte 1998 in die Leitung der Bibliothek der Musikhochschule Zürich und ist seit 15 Jahren stellvertretender Leiter des Medien- und Informationszentrums der heutigen ZHdK. Er komponiert Kammermusik für unterschiedliche Besetzung, Vokal- und Orchesterwerke, eine Oper (Ein Mond für die Beladenen) ist bisher unvollendet.
Flair für Experimente
Jetzt, an der Probe in der Schutzengelkapelle beim St.Galler Dom, wo diesen Freitag die erste Aufführung des Programms stattfindet, spielt Karl Schimke von der Empore herab seine Intermezzi, mit stupender Virtuosität in den gewaltigen Sprüngen, Triller- und Glissandofiguren oder zuletzt sogar zweistimmig. Später wechselt er in die Nähe des Chors – noch ist Zeit, die ideale Klangbalance auszuprobieren.
Felix Falkner: jenes blaue läuten
Nachrufe zu Joseph Kopf
30. September, 19.30 Uhr, Schutzengelkapelle St.Gallen
1. Oktober, 19.30, Uhr Evangelische Kirche Teufen
2. Oktober, 17 Uhr, Kunstzone Lokremise St.Gallen
Kristjan Döhring dirigiert den 2008 gegründeten Chor Inscriptum mit Gelassenheit. Er packt schwierige Stellen ein zweites und drittes Mal an, korrigiert hier und dort, perfektioniert die Übergänge zu den Tuba-Intermezzi, arbeitet die grossen Bögen und den «Atem» des Stücks heraus. Der rund 15-köpfige Chor artikuliert hervorragend, bewegt sich tonsicher und konzentriert durch die vertrackten Rhythmen und Dissonanzen.
Die Stimmung ist entspannt, Inscriptum hat mit anspruchsvollen und experimentellen Projekten Erfahrung: Leichenreden nannte sich ein Projekt mit Texten von Kurt Marti, es folgten unter vielen anderen Programmen Arvo Pärts Passio, ein szenischer Abend zu Robert Walser und Christian Morgenstern oder Die Traumbeschauten mit Musik auf Texte von Laura Vogt.
Den Anfang und den Schluss des Zyklus macht Joseph Kopfs bekanntestes Gedicht: gebet. Eindringlich der Dreischritt des «Lass mich nicht», die Härten beim «schrecklichen Tod des Menschen», das Aufblühen und Erlöschen der Blume – und dann die an den Kern der menschlichen Existenz rührende Kehrtwende:
gebet
lass mich nicht sterben
o gott
den schrecklichen
tod des menschen
lass mich erlöschen
wie eine blume
in deiner einfalt
lass mich nicht erlöschen
o gott
wie eine blume
in deiner einfalt
lass mich sterben
den schrecklichen
tod des menschen