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Obertöne in der Unterwelt
Marcello Wick und Andreas Paragioudakis folgen Orpheus und Eurydike in den Hades. Die erste CD des Duos Wotsala erzählt den Mythos in elf improvisierten Bildern. Diesen Freitag ist CD-Taufe in der Offenen Kirche.

Nicht ganz im Hades, nur im Sittertobel: Andreas Paragioudakis, Marcello Wick. (Bild: Brigitte Knöpfel)
Obertöne wie von einer fernen Flöte begleiten Orpheus wieder hinauf ans Licht, schwingen sich hoch, eine Melodie wächst daraus hervor, vom Klavier in Wellen untermalt, beinah heiter. Ganz anders geht es ein paar Stücke vorher in der Unterwelt zu und her: Ein gewaltiges Knurren und Klirren, Ächzen und Stöhnen gibt einen schauerlichen Eindruck von den Höllenkreaturen, die der mythische Sänger dort der Legende nach angetroffen hat – und die sein singender Nachfahre Marcello Wick allein seinen Stimmbändern entlockt.
Man glaubt es kaum, was der menschliche Körper für Geräusche hervorzubringen imstande ist.
Archaisches Instrumentarium
Für seine Expedition hat sich der St.Galler Stimmkünstler Marcello Wick mit dem aus Griechenland stammenden Multi-Instrumentalisten Andreas Paragioudakis zusammengetan. Damit kommt ein imposantes Arsenal an Instrumenten zusammen, das den archaischen Charakter der Geschichte unterstützt – Marcello Wick begleitet sich selber auf Akkordeon und Klavier, mit der obertonreichen Handpan, der armenischen Flöte Duduk oder einem selbstgebauten Blasinstrument aus einem Geisshorn. Paragioudakis spielt Klavier, Laute, Lyra und Flöte.
Aufgenommen wurde die CD im März 2021 in der Offenen Kirche St.Gallen, diesen Freitag, am 20. Mai wird sie am gleichen Ort getauft. Alle Stücke entstanden im Moment, aus traumwandlerisch anmutenden Improvisationen. Zur CD-Taufe erweitert sich das Wotsala-Duo um Marc Jenny (Kontrabass) und Toni Majdalani (Perkussion, Stimme).
In elf Etappen in die Unterwelt
Wotsala: The Story of Orpheus & Eurydike.
CD-Taufe: Freitag, 20. Mai, 20 Uhr, Offene Kirche St.Gallen
Gleich mit den ersten Tönen sind wir in die Antike entführt. Tropfende Lautentöne wie in einer Grotte, erste Worte in einer flüsternden, unverständlichen Ursprache, dann Harmonien, man fühlt sich bald griechisch, bald fernöstlich, bald minnesängerisch entrückt. Ein Schreitrhythmus übernimmt mit Laute und Hang, der Sänger versucht sich stotternd, lallend, entzückt in Silben und Worten. Orpheus searches the words of love heisst das erste Stück.
Von ihm aus geht es in elf Etappen in die Hölle, Eurydikes Tränen lassen Blumen wachsen, Orpheus sucht seine Geliebte, kann sie dem Hades abringen, bis zu jenem unseligen Blick zurück, der ihm die Geliebte endgültig entreisst.
Gemeinhin als tragische Liebesgeschichte überliefert, konnte man den Stoff vor Jahren in Klaus Theweleits mehrbändigem Orpheus-Eurydike-Opus ganz anders kennenlernen: als problematischen Gründungsmythos des europäischen Künstler-Mannes, der für seine Kunst die Frau(en) opfert, von Monteverdi bis Brecht, Benn, Hamsun oder Godard.
Bei Wotsala bleibt die Geschichte zwar traditioneller verortet in einer mythisch aufgeladenen Vergangenheit – aber umso lebendiger wird sie musikalisch in die Gegenwart hineingeholt.
Dieser Beitrag erscheint auch im Juniheft von Saiten.