, 19. Juli 2022
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«Pure Lebensfreude!»

Endlich: Fussball wird vom Gentlemen- zu einem Lady-Sport! Ein Kommentar von Toni Saller

1970 wurde die Schweizerische Damen-Fussball-Liga gegründet. (Bild: SFV)

Schon nach wenigen Spielen der Women’s Euro England wird klar: Der Frauenfussball ist dem Männerfussball weit überlegen. Dass ich diese EM regelmässig schaue, war gar nicht geplant, da ich Sportübertragungen im Fernsehen grundsätzlich meide. Doch das Eröffnungsspiel England – Österreich hat mir dermassen gut gefallen, dass ich dabei blieb und bleibe.

Das letzte Männerspiel, das ich mit Kollegen im Zürcher El Lokal gesehen habe, war der Champions League-Final zwischen Real Madrid und Liverpool. Kein sehr gutes Spiel, und wieder einmal hat die falsche Mannschaft gewonnen.

Damit sind wir schon beim ersten Pluspunkt für die Frauenspiele: Da gibt es keine Falschen! Der Nationalismus und die vorweggenommene Parteinahme scheinen wie ausgeblendet. Die so sich ausbreitende Ruhe und Entspannung ist ein wohltuender Unterschied zu dem geradezu unanständigen Ehrgeiz und der permanenten Aggressivität, mit dem der Sieg bei den Männern jeweils erzwungen werden muss. Das ist in keiner Weise despektierlich gemeint, sondern rundum positiv.

Ebenso positiv empfinde ich die wie automatisch aufkommenden Sympathien für die Mannschaft, die in Rückstand liegt und das damit verbundene Gefühl, dass man niemanden verlieren sehen will. Das sind exakt die Tugenden eines ursprünglichen Sportgedankens.

FIFA: Wo das Wort eines Mannes noch etwas gilt

Dass das Urteil im Blatter-Platini Prozess gerade jetzt gefallen ist, passt gut zum Prozess des «Abwirtschaftens», in dem sich der Männerfussball befindet. Auch wenn die Freisprüche zunächst nur und zurecht als Höhepunkt einer beinahe surrealen Vorstellung eines riesigen Debakels für die Schweizer Bundesanwaltschaft kommentiert werden. Doch schliesst das eine das andere aus? Nein.

Die Beschuldigten sind frei, ok, das bringt nachvollziehbare Erleichterung für zwei arg gebeutelte, ehemalige Lichtgestalten des Fussballs, doch glaubwürdiger sind dadurch weder die zwei noch der Fussball insgesamt geworden. Nie habe ich auch nur ein Wort darüber gehört, um was für Beratungen es bei Platinis Leistungen gegenüber Blatter gehandelt hat. Hat er Blatter einige Gourmet-Tempel in Paris empfohlen? Oder war es eine Liste von Nummernkonten in Singapur, über die ein FIFA Präsident verfügen sollte?

Wie dem auch sei, die Botschaft des Schweizer Bundesstrafgerichts aus Bellinzona sollte wohl sein: Fussball ist und bleibt ein Gentlemen-Sport, bei dem das Wort eines Mannes noch etwas gilt.

Nur nebenbei: Woher stammen die zwei Millionen, die die FIFA für die oben fantasierten Beratungsleistungen ausgegeben hat? Aus ihrem Geschäft mit dem Fussball, aus den Fernsehrechten zum Beispiel, die die Anstalten für die Übertragung der FIFA-Spiele berappen müssen.

Dafür zahlen auch die öffentlich-rechtlichen wie die SRG, bei der wir ja gerne unsere jährlichen, ehemals als «Billag» bekannten Gebühren, bezahlen, um journalistische Qualität zu bewahren. Die Öffentlichkeit und somit wir Steuerzahler:innen haben demnach die zwei Millionen aufgebracht. Darum sollten wir auch detailliert über die konkreten Leistungen, die Platini dafür erbracht hat, unterrichtet werden. Mal schauen, ob sich die SVP empört…

Frauenfussball: Keine Mätzchen

Aus Schweizer Sicht ein weiterer Pluspunkt für den Frauenfussball an dieser Euro: Es kommentieren weder Sascha Ruefer noch Rainer Salzgeber, der glücklicherweise mit Jassen beschäftigt ist. Wobei, halt: Unglücklicherweise hat sich Ruefer beim Spiel Deutschland – Spanien doch noch dazugeschaltet. Hoffen wir, es bleibt bei diesem einen Mal.

Der Hauptpunkt allerdings, wieso die Frauenspiele mir so gefallen: Keine Mätzchen! Wir sehen Begeisterung und Fairness, dafür wenig Gehässiges oder gar Bösartiges. Auch keine unsympathischen oder eingebildeten Spielerinnen mit theatralischen Einlagen zur Selbstinszenierung. Alles wie gesagt Tugenden, für die der Fussball stehen sollte und vor langer Zeit auch einmal stand.

Woran das liegt, ist schwer zu sagen. Vielleicht daran, dass der Frauenfussball noch nicht so populär ist und so gigantische Einschaltquoten bringt wie bei den Männern. Vor der Europameisterinnenschaft war es ein grosses Thema, dass die Gehälter im Frauenfussball nur einen Bruchteil so hoch sind wie jene im Männerfussball. Immerhin sind die Prämien an der Euro angeglichen worden.

Doch bevor man die fehlende Kommerzialisierung des Frauenfussballs beklagt, könnte man sich überlegen, ob er vielleicht nicht gerade darum so attraktiv und sehenswert ist. Statt die Frauenlöhne auf die absurden Höhen der Herren hinaufzuschrauben und damit Grössenwahn, Korruption, Ungleichheit und bösartigem Spiel Tür und Tor zu öffnen, sollte man fordern, dass sich die Löhne der Männer auf ein «gesundes» Mass reduzieren. Weniger wäre mehr. Aber so etwas zu sagen, ist ja im Kapitalismus Blasphemie…

Anders als die Männer: Frau traut sich was

Positiv und ein Genuss war bereits die Fussball-Weltmeisterschaft der Frauen 2019 in Frankreich. Vor allem weil sich die couragierten Spielerinnen der USA nicht von einem primitiven Nationalismus einspannen liessen und sich nach ihrem Sieg weigerten, Trump die Hand zu schütteln.

Das letzte Mal, dass sich das bei den Männern eine Mannschaft erlaubt hat? Die Holländer an der WM 1978 in Argentinien. Damals verweigerten sie dem Militärdiktator und Massenmörder Videla den Handschlag für die Silbermedaille. Lange ist es her.

Das Positivste zum Thema Fussball geschah vor wenigen Monaten: Nach der Machtübernahme der Taliban ist ein ganzes Frauenteam aus Afghanistan nach England geflüchtet, wo die Spielerinnen nun in der Profiliga Fuss zu fassen hoffen. Fussball als Befreiung. In einem Interview sagte eine Spielerin auf die Frage, was ihr der Fussball bedeute: «Pure Lebensfreude!»

Toni Saller, 1956, hat vor 40 Jahren als Fussball-Ethnologe die Weltmeisterschaft in Argentinien besucht. Seine Erinnerungen daran sind im Juniheft 2018 von Saiten zu lesen.

2 Kommentare zu «Pure Lebensfreude!»

  • Urs Beat Wobmann sagt:

    bravissimo, Toni, ich verstehe nicht viel von Fussball, trotzdem hat mir der Bericht gefallen und den Frauenfussball sehe ich mir gerne an. Weiter so…

  • Arnold Frauenfelder sagt:

    Lieber Toni
    Deine vielfältigen Assoziationen zum Eoro Fußball der Frauen machen mir Freude.

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