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«Take me somewhere»
Techno im Gonzen, der Tod der Eltern und die Suche nach Reinkarnation: Der kanadisch-schweizerische Filmemacher Peter Mettler gewann kürzlich am Filmfestival in Nyon den Grand Prix für «While the Green Grass Grows». Der Essayfilm wurde zu grossen Teilen in der Ostschweiz gedreht. Von Geri Krebs

Mit dem Vater im Alpstein, im Hintergrund die Kreuzberge: Peter Mettler spürt in seinem Filmessay auch den Wurzeln seiner Eltern nach. (Bilder: pd/Filmstills aus dem Trailer)
Es ist bereits das zweite Mal, dass der 1958 als Sohn von Schweizer Eltern in Toronto geborene Regisseur am Visions du Réel in Nyon den Hauptpreis erhält. Bereits 2002 hatte er ihn mit Gambling, Gods & LSD gewonnen, einem dreistündigen Trip, der damals um die halbe Welt führte, auf der Suche nach Transzendenz.
Statt eines Drehbuchs hatte Mettler in jenem Film, ähnlich wie nun im ebenfalls dreistündigen While the Green Grass Grows, auf die Intuition vertraut und eine audiovisuelle Komposition geschaffen, die in einem faszinierenden Strom von Bildern Spiritualität, Gesellschaftskritik und Poesie miteinander verband.
In While the Green Grass Grows arbeitet Peter Mettler in vergleichbarer Weise: in frei assoziierenden Bildern präsentiert er Auszüge aus einem filmischen Tagebuch, aufgenommen zwischen 2019 und 2021 und angereichert mit vielen Rückblenden und Material aus seinem persönlichen Archiv.
Die Poesie der Postkartenschweiz
Es beginnt mit Szenen, gefilmt aus dem Fenster des Künstlerhauses Birli in Wald/AR, wo Peter Mettler im Winter und Frühling 2019 weilte. Peter Mettlers Vater Freddy reiste in jener Zeit aus Kanada für einen Besuch zum Sohn in die Schweiz. Die beiden verbringen einige Zeit zusammen, wenige Monate zuvor war Julia Mettler, die Mutter, gestorben und gemeinsam reisen Vater und Sohn an diverse Orte in der Schweiz.
Mit Bildern aus dem Alpstein, aus der Rheinschlucht bei Flims und immer wieder aus dem Fenster des Birli hinüber nach Rehetobel, beschwört Peter Mettler bisweilen eine Postkartenschweiz herauf und einmal fragt er den Vater: «Wenn du in Kanada an die Schweiz denkst – ist es das?»
Doch es geht Peter Mettler auch in derartigen Szenen nicht um ein Idyll, sondern er sucht auch hier Spiritualität, Poesie und Transzendenz. Immer wieder erscheinen dazwischen Bilder und Szenen mit der verstorbenen Mutter und einmal sieht man den Vater, wie er zusammen mit dem Sohn ihre Asche in den Rhein streut und erklärt: «Jetzt geht sie in den Atlantik und dann irgendwann zurück nach Kanada.»
1985: Mettler und der Dalai Lama
Einige Szenen davor hatte sich Peter Mettler zusammen mit einem Kollegen, dem Sarganser Künstler und Tattoo-Artist August «Gass» Rupp, in den Stollen des Gonzen bei Sargans begeben. Gass schleppt ein Mischpult und eine Soundanlage herbei, während Peter Mettler Wände besprayt und gleich darauf erzittert der Stollen unter harten Electro-Beats.
Im Gespräch in Nyon erzählt Peter Mettler, wie er als Jugendlicher und junger Erwachsener öfter Autostopp gemacht habe. Und wenn ein Auto anhielt, habe er dem Menschen am Steuer auf die Frage, wo er hinwolle, nur geantwortet: «Take me somewhere».
Es ist dieses Unbestimmte und dann doch auch Klare, das Mettlers Filme charakterisiert. Und wenn man in While the Green Grass Grows manchmal glaubt, jetzt werde es banal, etwa, wenn der Künstlerkollege August Rupp im Gonzenstollen sagt: «S‘ Unbewussti, gäll, das isch so’nä Zwüschewält», so merkt man doch bald, dass es Peter Mettler um nichts weniger geht als um einen Essayfilm zur Idee der Wiedergeburt.
So sieht man den Regisseur einmal während des Lockdown im April 2020 bei sich zu Hause in Kanada, wie er aus seinem Archiv im Keller Filmrollen aus dem Jahr 1985 zu Tage fördert. Angeschrieben sind sie mit «Reincarnation» und sie enthalten Auszüge aus einem Gespräch, das Mettler damals mit dem Dalai Lama führen konnte. Das spirituelle Oberhaupt der Tibeter:innen – zu jener Zeit noch nicht unter Beschuss stehend – erklärt in dem Gespräch unter anderem, der Mensch erlebe die tiefste Ebene des Bewusstseins im Moment, da er vom Leben in den Tod gleite.
Freundschaft zu Liechti
Das alles setzt sich in While the Green Grass Grows fort mit dem Sterben des Vaters. Peter Mettler kreiert hier Szenen, die ans Herz gehen ohne dass sie je sentimental oder voyeuristisch wirken. Dabei bleibt immer wieder sein Bemühen, Bilder zu finden über diese Zwischenwelt zwischen den Lebenden und den Toten.
Diese Momente erinnern wiederholt an die letzten Filme eines grossen Ostschweizer Cineasten, der vor neun Jahren verstorben ist: Peter Liechti. In seinen Filmen The Sound of Insects und Vater Garten hat er in diesem Bereich Masstäbe gesetzt.
«Wir standen uns nahe», sagt Peter Mettler dazu im Gespräch und: «Peter Liechti und ich wir waren und sind verwandte Seelen. Wir haben uns über die Jahre hinweg immer wieder künstlerisch ausgetauscht, haben Ideen diskutiert. In The Sound of Insects habe ich sogar das Voice-Over für die englische Version gemacht. Und einige Jahre davor, in der Zeit, als ich an Gambling, Gods & LSD arbeitete, haben wir sogar zusammen in einer WG in Zürich gewohnt. Und die Wohnung im Birli war seinerzeit auch für Peter Liechti ein Arbeitsort gewesen.»
Als Peter Mettler am vergangnen Freitag in Nyon den Grand Prix erhielt, schrieb er kurz darauf in einem Statement: «Das Leben ist in der Tat voll von Kreisen, die sich schliessen. Das sagte ich damals, vor über zwanzig Jahren, in meinem Voice-over in Gambling, Gods & LSD, jetzt bestätigte es sich erneut. Es ist ein grosses Privileg, in dieser Form meine Rückkehr nach Nyon erleben zu dürfen – und mit diesem zweiten Hauptpreis für eine weitere Ebene der filmischen Erforschung belohnt und ermutigt zu werden.»
Nur zwei von sieben Teilen prämiert
Man kann nur hoffen, dass der Preis für Peter Mettlers filmische Erforschungen mithilft, While the Green Grass Grows auch in die Kinos zu bringen. Denn sicher ist das nicht. Der Film ist nämlich Teil eines elf Stunden dauernden, in sieben Kapitel gegliederten Projekts unter dem gleichen Namen.
Was in Nyon prämiert worden ist, waren die Kapitel eins und sieben, die anderen fünf Kapitel sind zwar ebenfalls fertig abgedreht und montiert, doch es fehlt die Postproduktion. Peter Mettler und seine Koproduzentin, die aus Arbon gebürtige Produzentin Cornelia Seitler, hatten ursprünglich die beiden Kapitel nur im Industry-Sektor, das heisst, den potentiell interessierten Geldgebern, zeigen wollen. Doch es war dann die Festivalleiterin Emily Bujes gewesen, die darauf bestand, die zwei Kapitel als Film im internationalen Wettbewerb zu präsentieren.