, 15. November 2016
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Unter den «Schemel» gefallen

Der Heimatschutz SG/AI zeichnet die offene Planung rund um den St.Galler Bahnhof Nord mit seinem «Goldenen Schemel» aus. Den Preis erhält die Stadtverwaltung, vergessen geht dabei die Basis rund um den «Tisch hinter den Gleisen». Dafür gebührt dem Heimatschutz ein rostiger Kübel.

Die Lokremise, wie man sie kennt. (Bild: Dani Fels)

2015 wurde der «Goldene Schemel» (eine Skulptur von Katalin Deér) erstmals vergeben, an Umbau und Restaurierung des privaten Wohnhauses Husen in Berneck. Ziel des privat finanzierten Preises ist die Förderung der Baukultur. Beim zweiten Mal sollte es um Quartier- und Siedlungsentwicklungen gehen. Gewonnen hat der Planungsprozess Bahnhof Nord St.Gallen.

Jahrelange «Hilflosigkeiten»

Dort praktiziere die Stadt seit 2015, was «heute von einer Stadt in der Grösse St.Gallens an Planungskultur zu erwarten ist», in den zwei Jahrzehnten zuvor aber schmerzlich vermisst worden sei, stellt die Jury fest. Zuvor sei das Gebiet nie ganzheitlich betrachtet worden, Grossprojekte wurden nicht umgesetzt, dafür ein umstrittener «St.Leopard» oder das KV-Bürohaus realisiert, es gab Konflikte um die Villa Wiesental, um das Klubhaus, um die Aussenraumgestaltung der Fachhochschule. Insgesamt eine ganze «Galerie von Hilflosigkeiten», heisst es in der Pressemitteilung des Heimatschutzes.

Die partizipative Planung bedeute daher «einen Neuanfang im Umgang mit Stadtraum und der betroffenen Bevölkerung». Ziel sei die Aufwertung des öffentlichen Raums, aber auch der angemessene Umgang mit historischen Bauten im Quartier. Der «goldene Schemel» soll keine (noch nicht vorhandenen) Resultate auszeichnen, sondern die Methodik des Prozesses und dessen dialogisches Verfahren.

Den Preis für den «beispielhaften Planungsprozess» bekommen das Stadtplanungsamt mit Leiter Florian Kessler und Projektleiterin Daniella Nüssli sowie die Kommunikationsstelle der Stadtverwaltung mit Esther Räber-Schönenberger und Samuel Fitzi. So weit so erfreulich – allerdings wird unterschlagen, dass es für diesen Prozess erstmal den «Druck der Strasse» brauchte.

Wo bleibt der «Tisch»?

Den Preis mitverdient hätte der «Tisch hinter den Gleisen». Er formierte sich nach den Wirren um den Verkauf und drohenden Abbruch des Spanischen Klubhauses, den Querelen um die Villa Wiesental und aus Protest gegen die schleichende Entwertung eines einstmals lebendigen Wohnquartiers.

Vorangegangen war im August 2014 ein Podium des Heimatschutzes selber, mehr dazu hier. Im folgenden Winter wurde der «Tisch» ins Leben gerufen, es wurde debattiert, visioniert, konkretisiert. Erst im Sommer 2015 sprang die Stadt auf den basisdemokratisch rollenden Zug auf, nachdem sie das Klubhaus (zurück-) gekauft und mit einem Architekturwettbewerb auf die Nase gefallen war.

O-Ton NZZ vom 31. August 2015: «Nach Jahren der Passivität haben die Behörden realisiert, dass ein konzept- und ideenloses Weiterwursteln im Quartier hinter den Gleisen in einer lebensfeindlichen Sackgasse enden würde.» O-Ton Saiten vom gleichen Tag: «Jetzt hat auch die Stadt gemerkt, dass es einen Tisch hinter den Gleisen braucht.»

«Der Anstoss war zivilgesellschaftlich»

Drum also hätte der «Tisch» den Preis verdient – zumindest: auch verdient. Das sieht auch Dani Fels so, Dozent an der Fachhochschule und Projektleiter Soziale Räume der FH: Der «Tisch hinter den Gleisen» sei vom Planungsamt sehr ernst genommen worden und ein entscheidender Faktor dafür gewesen, dass die Stadt so rasch reagierte. «Der Anstoss war zu einem schönen Teil zivilgesellschaftlich.» Ebenfalls wichtig war laut Fels, dass mit Florian Kessler ein Mann neu im Planungsamt war, der von Rorschach her bereits Erfahrung mit partizipativen Prozessen hatte.

Preisverleihung «Goldener Schemel»: 29. November, 19 Uhr,  Spanisches Klubhaus St.Gallen.

Roman Rutz, einer der Initianten des «Tischs», findet es auf Anfrage zwar «nicht tragisch», von der Jury aussen vor gelassen zu werden: «Uns ging es nicht darum, Preise einzuheimsen. Wichtig ist, dass die Entwicklung, die wir uns erhofften, in Gang gekommen ist.» Eine Verwaltung dafür auszuzeichnen, dass sie ihren Job macht, sei allerdings schon etwas seltsam. Und dass Stadträtin Patrizia Adam im Wahlkampf auftrete, als sei sie «Miss Partizipation», passe schlecht zur Tatsache, dass sie erst auf Druck von aussen damit angefangen habe. In den Foren habe der «Tisch hinter den Gleisen» seinen Platz und seine Stimme gehabt, sagt Roman Rutz – wie weit die Anliegen der «Tisch»-Runde am Ende zur Geltung kommen, sei eine andere Frage.

Für den Prozess selber wurde ein Team gebildet: Planungsamt und Abteilung Kommunikation der Stadt gehörten dazu, ausserdem Bruno Bottlang vom Atelier Bottlang und Dani Fels als FH-Projektleiter. Gemeinsam heckte man die Abläufe aus: Online-Befragung, Foren, Sozialraumanalyse, Testplanung. Warum die Experten Bottlang und Fels nicht ebenfalls zum Kreis der Preiswürdigen zählen, bleibt ebenso das Geheimnis der Heimatschutz-Jury wie die Tatsache, dass sie den «Tisch» und seine Initial-Zündung komplett ignoriert.

Drum also: Ein rostiger Kübel für die Jury mit Kathrin Hilber, Christa Köppel, Carlos Martinez, Agatha Nisple und Peter Röllin.

Als nächstes: Die Testplanung

Der Planungsprozess geht zeitgleich mit der «Schemel»-Verleihung in seine nächste Runde: Ende November, wenige Tage nach der Stadtratswahl, werden die Ergebnisse der Testplanung der vier eingeladenen Architekturbüros präsentiert und findet ein nächstes Forum aller Anspruchsgruppen statt. Die gesammelten Ergebnisse fliessen schliesslich in den Bericht an den Stadtrat ein, der das weitere Vorgehen festlegen wird – wer auch immer dann das Baudepartement leitet.

So löblich die Planung, so fraglich ist das Ergebnis. Der ökonomische Druck ist gross an dieser exponierten Stelle – wenig Chancen also für eine «niederschwellige» künftige Nutzung, wie sie vor zwei Jahren an dieser Stelle ein Kommentator vorgeschlagen hatte: «Wettbewerb? Investoren? Das klingt ganz grausig. Meine Lösung: Rümpeltum ins Klubhaus, DAS belebt das Quartier. Das Haus soll ein soziales Quartierzentrum werden (den Namen dafür hätte man auch schon parat: centro social), dafür brauchts weder Wettbewerb, noch Investoren, sondern eine Stadt, die sich zu gemeinschaftlichen und auch konfliktiven Orten bekennt!»

1 Kommentar zu Unter den «Schemel» gefallen

  • Peter Röllin, Jurymitglied "Goldener Schemel" sagt:

    Xenophon sagt: „Der Mistkübel ist schön, weil er nützlich ist.“
    Also Dank an Dich Peter Surber für den rostigen Kübel.

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