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Unterwegs mit den Freaks der Wüste
Sie leben in Abwassertunnels, verlassenen Armeebunkern oder einer fiktiven Marsstation: Der Dok-Film Above & Below zeigt Aussenseiter, die geographisch und sozial am Rand der Gesellschaft stehen – und trotz der Extreme ihren Lebensmut behalten.

Leben an der Peripherie: In der Wüste von Utah wird das Leben auf dem Mars simuliert. Regisseur Steiner schaut den «Astronauten» über die Schulter. (Bild: Cineworx)
Für sein Filmprojekt Above & Below hat der Walliser Regisseur Nicolas Steiner selber wie ein Nomade gelebt: «Ich hatte keine eigene Wohnung mehr, war monatelang für den Film unterwegs», erzählt der 31-Jährige. Die harte Recherche hat sich gelohnt: Above & Below tut das, worauf man im Grunde bei jedem Dok-Film hofft. Er zeigt uns einen tiefen Einblick in seltsame und völlig andere Welten. In diesem Fall geht es um Menschen, die am Rand der Gesellschaft leben.
Da sind Rick und Cindy, die in den betonierten Flutkanälen unter der Stadt Las Vegas hausen. Sie leben von der Hand in den Mund, von dem, was sie in Mülltonnen der besser gestellten Bewohner der irren Glücksspiel-Stadt finden. Manchmal verkauft Rick auch Drogen, die er zudem selber konsumiert. «Ich verachte mich dafür, aber was soll ich machen? Ich bin halt nur ein Gauner, der sich nimmt, was er braucht», sagt Rick, als er zu einem seiner illegalen Streifzüge aufbricht.
Ansonsten probiert das Paar, tief unter der Erde und umgeben von giftigen Spinnen, Feuchtigkeit und ewiger Dunkelheit, so etwas wie Normalität herzustellen: Sie richten sich häuslich ein, kochen, lieben sich, streiten sich.
Doch es ist ein Leben am ständigen Abgrund: Die Springfluten, die bei Wolkenbrüchen durch die Kanäle brechen, nehmen ihnen innert Sekunden ihren wenigen Besitz. «Einmal wäre ich fast ertrunken», erzählt Cindy. Eine solche Mini-Katastrophe, fing auch Steiners Kamera ein. «Die Gewalt des Wassers war überraschend heftig, das war ein heikler Moment», sagt er.
Nach der Crack-Sucht im Bunker gelandet
Auf die Tunnel-Bewohner sei er zufällig aufmerksam geworden. «Ich sah in Las Vegas einen Typen in einem Pyjama aus einem Abfluss steigen.» Laut Medienberichten leben bis zu 1000 Menschen so im Untergrund der Stadt. Steiner hat sich einigen von ihnen in wochenlangen Recherchen und Gesprächen angenähert. «Es brauchte Zeit, um gegenseitiges Vertrauen aufzubauen.»
Auf einem Zufall basiert auch das feine Porträt des Kriegsvetarenen, LKW-Fahrers und Schlagzeugspielers Dave in Above & Below, der gezwungenermassen zum Aussteiger wurde: Seit ihn seine Ex-Frau mit ihrer Cracksucht ruiniert und er Job und Haus verloren hat, lebt er in einem verlassenen Bunker der US Army in der glühend heissen, kalifornischen Wüste. Regisseur Steiner erzählt: «Ich fuhr ohne Plan in die Wüste. Als ich in der bitterkalten Nacht in einer warmen Quelle badete, fuhr plötzlich Dave mit seinem Velo vorbei. So kamen wir ins Gespräch.»
Die Wüste als Ort fasziniere ihn, seit er 2011 als Stipendiat und Filmstudent ein Jahr in Kalifornien verbrachte. Bei einer Fotoserie über Geisterstädte, die er in den USA anfertigte, entstand dann auch das Interesse für scheinbar verlassene Orte und Gebäude in gesellschaftlichen Randgebieten.
Keine Chance auf Rückkehr
Ein solches ist auch die Mars Desert Research Station in der gebirgigen Wüste von Utah. Dort wird in einer fiktiven Raumstation erforscht, wie sich das Leben auf dem Mars auf Menschen auswirkt. Above & Below zeigt die «Astronauten» beim Leben in der simulierten Einsamkeit im All – und lässt sie darüber philosophieren, warum man wohl die Erde Richtung Mars verlassen sollte. Wie es wäre, dort oben, in einer Kapsel lebend, ohne Chance auf Rückkehr?
Steiner lässt in Above & Below die Protagonisten reden, er kommentiert weder aus dem Off noch stellt er hörbare Fragen. Trotzdem ist seine Handschrift spürbar, vor allem in starken, visuellen Effekten: Er filmt Dave beim Schlagzeugsolo im Sonnenuntergang, während rund um ihn Feuerwerk in die Luft geht. Oder er lässt Dutzende Ping Pong-Bälle durchs die Flutkanäle von Las Vegas treiben. Deren Weiss steht im Kontrast zum Schmutz der Unterwelt. «Das sind gestalterische Freiheiten, die ich mir nehme. Sie sind aber alle in Zusammenarbeit mit den Darstellern enstanden. An der Geschichte selber ändern sie nichts», sagt Steiner. Er arbeite grundsätzlich ohne Drehbuch, ohne Dialoge, ohne inszenierte Szenen.
So ist Above & Below fast zwei Stunden rauhes, dokumentarisches Material geworden. Dass der Low-Budget-Film, der mit gut 200’000 Franken abgedreht wurde, visuell ansprechend produziert und mit passender, sphärischer Musik unterlegt ist, verwässert die eingefangenen Bilder nicht. Deren Kraft macht vor allem der spürbare Lebensmut und Humor aus, die die porträtierten Aussenseiter trotz allem nicht verlieren.
Der Trailer zum Film:
Premiere am Dienstag, 1. März, um 19.30 Uhr im Kinok St.Gallen. Im Anschluss an den Film diskutiert der Regisseur Nicolas Steiner mit der Filmwissenschafterin Eleonora Farinello.