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Vergeblicher Fluchtversuch
«Bei 30 Grad im Schatten» heisst der zweite Roman von Lorenz Langenegger. Der in Wien lebende Autor mit Ausserrhoder Wurzeln liest heute im Raum für Literatur St.Gallen.

Jakob Walter heisst der Anti-Held des Buchs. Der Name passt für den bedächtigen Ver-Walter seines Lebens, als der sich Walter schon in den ersten Sätzen des Buchs zu erkennen gibt. Walter ist Angestellter beim Finanzdepartement in Bern und scheinbar zufrieden verheiratet mit Edith. Bis zu jenem Morgen, als ihn Edith nach einem Streit verlässt und nicht zurück kommt.
Zehn Jahre verfehlter Ehe
Allerdings: Einer wie Walter gerät nicht so leicht aus der Bahn. Er geht zwar, zu seiner eigenen Überraschung, an diesem Tag nicht zur Arbeit, sondern packt einen Rucksack und steigt in den Zug. Aber vorerst bleibt sein Handeln ziellos. Walter landet auf der Suche nach einem alten Freund in Zürich auf einem Friedhof, kommt ins Gespräch mit einem Fremden und lässt sich von diesem für die Idee begeistern, nach Italien zu reisen. Von dort gerät er wie von selbst auf die Fähre nach Griechenland.
Die Versuchsanordnung ist literarisch beliebt: Selbstsuche als Folge einer katastrophalen Alltags-Wendung. Im Kosmos des 34jährigen Autors Langeneggers beziehungsweise dessen Helden Walter passiert diese Selbstsuche in kleinen Schritten. Nach und nach dämmert ihm, dass seine «Flucht vor Edith» sich lange schon abgezeichnet hat, dass ihre Temperamente zu unterschiedlich waren, dass sie sich gegenseitig im Weg standen, dass getrennte Wohnungen vielleicht die Rettung gewesen wären. «Es hätte nicht zu diesem hässlichen Streit kommen müssen.»
Die Flucht erweist sich aber je länger je mehr als Illusion. Kleine Freiheitsgefühle wechseln ab mit Gewissensbissen gegenüber seinen Arbeitskollegen auf dem Amt und dem Erschrecken «über die Gelassenheit, mit der er darüber nachdenkt, dass seine Ehe zu Ende ist». Die Rückfahrkarte nach Bern lässt Walter zwar in Patras verfallen und peilt, wiederum auf Anraten eines Zufalls-Bekannten, die Südspitze des Peloponnes an. Statt neuer Lebenskraft gewinnt er aber nur einen streunenden Hund als vorübergehenden Reisebegleiter.
«Er war nicht dieser Mensch»
Am Ende seines Fluchtversuchs im Schatten eines Leuchtturms steht die Einsicht, «dass er kein bärtiger, ungepflegter Einsiedler ist, der von der günstigen Gelegenheit und dem glücklichen Zufall lebt» und «der mit nichts als einem Rucksack auf dem Rücken durch die Welt zog. Er war nicht dieser Mensch. Und er wird auch nie ein solcher Mensch werden. Er ist ein Büroangestellter. Dagegen ist nichts einzuwenden.»
Langeneggers Roman ist das manchmal etwas gar gemächliche, aber präzis beobachtete Porträt eines in sich selbst und in der eigenen Gefühls-Bürokratie gefangenen Zeitgenossen, den selbst «30 Grad im Schatten» nicht zum Schmelzen bringen.
Lorenz Langenegger: Bei 30 Grad im Schatten, Jung und Jung Verlag Salzburg 2014, Fr. 25.90
Lesung: Dienstag, 20. Januar, 19.30 Uhr, Raum für Literatur St.Gallen