keine Kommentare
Verlangsamtes Grübeln zum Welterschöpfungstag
Rotweisse Bojen im Schmelzwasser der globalen Moral oder was der 1. August mit dem 1. August der Welterschöpfung zu tun hat.

Alles schmilzt, verdampft und kondensiert. Danach bleibt es, egal in welchem finalen Aggregatszustand, überall im Teer kleben. Seit Wochen ist es so heiss, dass man sich überlegt, ob es sich überhaupt lohnt aufzustehen, um sich und der Welt Aktivität vorzuspielen, oder ob man es lieber lässt, seine Ressourcen schont und den abgestandenen Getränken und Pflanzen beim Hitzetod zuschaut, um sich wenigstens vergleichsweise intakt zu fühlen.
Nur schon deshalb leuchtet es ein, dass heute, abgesehen vom Schweizer Nationalfeiertag, auch jener der Welt-Erschöpfung ist. Damit hat es aber nicht in erster Linie zu tun. Zwar viel mit Hitze und auch mit Faulheit, aber von vorne.
Der Welterschöpfungstag (auch Erdüberlastungstag, Ökoschuldentag oder Earth Overshoot Day genannt) wird jährlich von der Organisation Global Footprint Network ausgerufen. Das Datum wird berechnet, indem der globale ökologische Fussabdruck ins Verhältnis zur gesamten globalen Biokapazität gesetzt wird.
Ab diesem Datum übersteigt die Nachfrage der natürlichen Ressourcen das Angebot und die Kapazität der Erde. Auf einzelne Länder gerechnet, steht die Schweiz unbequem früh da: Ihre persönliche Erschöpfung wurde 2018 bereits am 7. Mai erreicht und ihre zusammengefasste Lebensweise würde ganze drei Erden beanspruchen.
Dass es einen Gewissens-Geburtstags-Verschwörungs-Kausalzusammenhang zum heutigen Datum gibt, ist zwar rational eher unwahrscheinlich, aber man kann es sich im Hitzedelirium einbilden, wenn man (noch) mag. Auf jeden Fall reicht es als Konstellationsfakt aus, um sich über beides Gedanken zu machen.
Wo hoher Wohlstand auf protestantisches Arbeitsethos trifft, hat ein grundlegendes Umdenken über die eigene Lebensform keinen Platz. Es gibt immer was zu tun, es muss immer was getan werden. Wie sinnvoll das ist, steht gar nicht mehr zur Diskussion. Inhalt follows Fleiss, man muss sich nicht mehr erinnern, warum. Die Menschmaschine funktioniert geschmeidiger ohne Vergewisserungsrückkopplung.
Zurück bleibt ein zerquetschtes schlechtes Gewissen bei gleichzeitig unterdrücktem Zorn über ausbleibendes Lob.
Eine zweite, aber mit der ersten kompatiblen Gleichung:
Wo hohe ethische Ansprüche immer unter dem Dogma der absoluten Glücksfindung herumkriechen und gleichzeitig von sehr viel Information beschallt werden, entstehen zuerst Verwirrung und Überforderung und danach Eskapismus oder Ignoranz. Es ist zu viel, man kann nicht gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreich, eine verantwortungsvolle Minderheit und entspannt und zufrieden normal-verschwenderisch sein.
Das heisst, man kann vielleicht, aber die Zahlen sprechen dagegen. Auch ein Grund, warum Riten so beliebt sind. Sie bieten ein Minimum an Stabilität und Vorhersehbarkeit in einem Ozean aus Gewissensbissen und ungeniessbaren Privilegien. Hohle Bojen mit Halt als einziger Funktion – aber Halt ist nunmal nicht zu unterschätzen.
Es bleibt dabei allen Anhaltenden selbst überlassen, wie sie die Schweiz feiern. Dieses Jahr zwar nicht ganz so wild, da die Ostschweizer Kantone ein absolutes Feuerwerksverbot aufgrund der Trockenheit ausgerufen haben, aber ein relativ breites Spektrum an plastifizierter rotweisser Dekoration und ein übermässiger Konsum verschiedenster Würste bleibt erlaubt. Es sei denn, man verbietet es sich selbst.
Der Verzicht auf materiellen Einwegkitsch rückt das Erschöpfungsdatum, wenn überhaupt, nur spärlich nach hinten, ist aber eine sich aus dem Asphaltbrei sublimierende Überlegung wert (dazu die passende Liedzeile aus Wartzimmer von Stahlberger: «De Asphalt isch e Sauce, und rünnt zääch und langsam überd Strosse»).
Zuletzt noch zwei Verbrauchertipps:
- Bis zur Abkühlung ein Regenfass aufstellen und öfter das Wetter als einen Bildschirm beobachten
- Den Nationalfeiertagsenergieaufwand liebevoll und intuitiv-wahllos unters Jahr streuen und sich entspannen
Auf einen schönen Restwelterschöpfungsschweizgeburtstag.