, 2. März 2022
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Vom Maidan nach Magglingen

«Olga» erzählt die Geschichte einer jungen Kunstturnerin, die 2014 aus der revolutionsgeschüttelten Ukraine in die Schweiz kommt. Elie Grappes Film hat auf erschütternde Weise Aktualität bekommen; am Freitag war Premiere im Kinok, einen Tag zuvor begann der Krieg gegen die Ukraine.

Anastasia Budiashkina als Olga. (Bilder: Cineworx)

Blaugelbe Fahnen, Transparente, eine unüberschaubare Menschenmenge, dann Polizei, die in die Menge knüppelt, Schüsse: Auf dem Maidan, dem zentralen Platz in Kiew, wird für eine freie und demokratische Ukraine demonstriert. Das ist 2014. Acht Jahre später fallen russische Bomben auf das Land.

Die ukrainische «Revolution der Würde» von 2014 ist der eine Erzähl- und Bilderstrang im Film Olga des jungen Westschweizer Regisseurs Elie Grappe. Der andere Spielort ist Magglingen bei Biel. Hier, in der verschneiten Jura-Idylle, kommt eines Abends Olga Budiashkina an, 17jährig, Kunstturnerin. Ihre Mutter schickt sie aus Kiew weg, als die Unruhen immer heftiger werden und ihr, der prominenten Journalistin und Aktivistin, mit dem Tod gedroht wird. Die Schweiz, das Land von Olgas verstorbenem Vater, verspricht Sicherheit.

Krieg mit Waffen, Krieg mit Körpern

Auf dem Maidan knallen Schüsse – in der Sporthalle in Magglingen schlagen Körper auf, durchtrainierte, auf Hochleistung getrimmte Turnerinnenkörper. Kein Krieg gegen ein Land wird hier geführt, aber ein Kampf um Medaillen, um halsbrecherische Figuren am Stufenbarren, an den Ringen, auf dem Balken.

Der Film schneidet die beiden Szenerien immer wieder übereinander, konfrontiert und kontrastiert zwei Welten, die für Olga mehr und mehr zur Zerreissprobe werden: hier das Ringen um ihren Platz im Team, um einen Startplatz an der Europameisterschaft, um die turnerische Karriere – dort das Ringen um Selbstbestimmung, der gefährliche Einsatz ihrer Mutter, die atemlosen Berichte ihrer Freundin vom Maidan.

Bis zum Ermüdungsbruch

Elie Grappe hat bei seinem Spielfilm-Erstling nicht mit Schauspielprofis, sondern mit Eliteturnerinnen gedreht. Sie bieten sportlich Grandioses, aber sie spielen auch ihre Filmrollen überzeugend, allen voran Anastasia Budiashkina als Olga.

Olga, Kinok St.Gallen, nächste Vorstellungen 2. März 18.40 Uhr,
6. März 10.30 Uhr

kinok.ch

Mit atemloser Spannung verfolgt man die Trainings, Olgas verbissene frühmorgendliche Runden auf der Bahn, die immer stärker aufbrechenden Spannungen im Schweizer Nationalteam, wo Kolleginnen zu Konkurrentinnen werden, ihren Triumph an den Europameisterschaften, die Einsamkeit nachts im Zimmer, fern der Heimat. Schliesslich der Ermüdungsbruch im Fuss, der symbolisch ist für die übermenschlichen Strapazen der Turnerinnen und für die Unaushaltbarkeit des Identitätskonflikts, in dem sich Olga aufreibt.

Zugleich, und mit ebenso wachsender Beklemmung, nimmt man teil am Aufbegehren des ukrainischen Volks, damals, 2014. Mit dokumentarischem, expressiv zusammengefügtem Bildmaterial ruft der Film die Vehemenz und die Hoffnungen der «Revolution der Würde» in Erinnerung, ebenso die Brutalität der Polizeikräfte unter dem damaligen prorussischen Präsidenten Janukowitsch, die eines Nachts auch Olgas Mutter niederknüppeln.

Am Ende kommt Olga zurück in ihre Heimat, 2020, es sind optimistische Bilder vom Maidan, Bilder eines halbwegs befriedeten Landes. Man sieht sie im sicheren Kinosessel und weiss, dass jetzt, zwei Jahre später Bomben fallen und in diesen Stunden und Tagen eine kilometerlange Kolonne von Panzern und Armeefahrzeugen auf den Maidan zurollt.

 

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