keine Kommentare
«Von Beruf bin ich ein Emigrant»
Eine Ausstellung in St.Gallen erinnert 30 Jahr nach seinem Tod an den Künstler und Antifaschisten Clément Moreau. Im Zentrum steht der Bild-Zyklus «Nacht über Deutschland». Von Richard Butz

1978 zeichnet die Stadt St.Gallen den Künstler Clément Moreau, der als Carl Meffert 1903 in Koblenz am Rhein geboren ist, mit einem Anerkennungspreis aus. Moreau, zu diesem Zeitpunkt also bereits 75 Jahre alt, lebt seit 1962 in Zürich und St.Gallen. Er hat ein wechselvolles Leben hinter sich und wird zehn Jahre nach der Auszeichnung in Sirnach sterben. In St.Gallen, wo seine Ehefrau, die bis ins hohe Alter als Kinderpsychologin tätige Nelly, geborene Guggenbühl, sowie gemeinsame Nachkommen wohnen, unterrichtet er Zeichnen an der Kunstgewerbeschule. So richtig wahrgenommen wird er in dieser Stadt aber nicht. Ab und zu sitzt er, immer Pfeife rauchend, im Strassencafé des einstigen Hotel Hecht und erzählt dann gerne aus seinem spannenden Leben. In Zürich, wo er eng mit Margrit Brenner befreundet ist, arbeitet er als Theaterzeichner.
«Ein menschlicher Gebrauchsgrafiker»
Im st.gallischen wie schweizerischen Kulturbetrieb spielt er zu Lebzeiten kaum eine Rolle und erfährt erst spät Anerkennung. Dass er ein Aussenseiter ist, weiss er selbst, will es auch nicht anders: «Ich war nie in einer Partei / Ich bin ein / menschlicher Gebrauchsgrafiker / und jedermann / der meine Arbeit gebrauchen kann / dem gehört sie.»
Clément Moreau: «Nacht über Deutschland», 5. Oktober bis 24. März 2019
Historisches Museum, St.Gallen
Vernissage: 5.Oktober, 18.30 Uhr
Szenische Lesung mit Matthias Peter und Stefan Suntinger: 9. und 30. November, 18 Uhr
Das Schlüsselwort ist «Gebrauchsgrafiker». Er versteht sich als Schüler der Käthe Kollwitz und will, ihr folgend, in seiner Kunst das Menschliche und Soziale in den Vordergrund stellen.
1925, nach fast vier Jahren Zuchthaus wegen politischer Delikte, schafft Carl Meffert erste politische Zeichnungen und ab dann zahlreiche Linolschnitt-Zyklen, fast durchwegs zu sozialen oder politischen Themen. In Berlin lebend, ist er befreundet mit Gleichgesinnten wie Käthe Kollwitz, John Heartfield, Erich Mühsam, Frans Maserel und Heinrich Vogeler. Durch Vogeler kommt er 1930 in die oberhalb des Lago Maggiore gelegene Tessiner Land- und Künstlerkooperative Fontana Martina. Hier trifft er auf den aus St.Gallen stammenden Künstler Eugen Früh, einen Bruder des Filmemachers Kurt Früh, und arbeitet mit anderen zeichnerisch für die Zeitschrift der Kooperative.
1933 zwingt ihn die Machtübernahme der Nazis aus Berlin ins illegale Exil in die Schweiz. Von nun an nennt er sich Moreau und reist, um einer drohenden Verhaftung durch die Schweizer Polizei zu entgehen, zwei Jahre später weiter nach Argentinien. Hier arbeitet er unermüdlich weiter. Es entstehen seine Tuschzeichnungen zu Hitler unter dem Titel Mein Kampf und in den Jahren 1937-1938 in Linolschnitt-Technik der Zyklus La comedia humana oder Nacht über Deutschland, erstmals veröffentlicht in argentinischen Zeitungen.
Dieser Zyklus ist heute als eines der wichtigsten Werke der antifaschistischen Exilkunst anerkannt. Mit kraftvollen und eindrücklichen Schwarzweissbildern schildert er, wie die Nazipropaganda funktioniert, er beschäftigt sich mit Erich Mühsam und seiner Ermordung, mit Repression, Folter, Gefängnis und Flucht.
«Durch die Welt gehetzt»
Nach der Machübernahme von Juan Perón gerät Moreau erneut in Schwierigkeiten. Dessen Regierung verbannt ihn, zuerst in die Provinz Jujuy als Tourismusexperte, dann nach Patagonien. Moreau flieht nach Uruguay und kommt später wieder nach Argentinien zurück. Künstlerisch schlägt sich diese Periode in den zwölf Linolschnitten Argentina über das Leben der Indios nieder. Bei einer Reise in die Schweiz werden er und seine Familie durch die Machtübernahme der Militärs in Argentinien gezwungen, hier zu bleiben. Sein Emigrantenleben fasst er selber so zusammen: «Von Beruf bin ich ein Emigrant, wo ich auch hinkam, nach kurzer Zeit musste ich als Emigrant wieder weg. Man wird als Emigrant durch die Welt gehetzt.»
Publikationen:
Clément Moreau: Nacht über Deutschland. 107 Linolschnitte aus den Jahren 1937-1938. Schriften der Erich-Mühsam-Gesellschaft, Heft 32, Lübeck, 2009.
Bernhard Brack-Zahner: Nichts Menschliches ist mir fremd. Das Leben von Nelly Meffert-Guggenbühl. Verlagshaus Schwellbrunn, 2004.
In den letzten zehn Lebensjahren erfährt Moreau schliesslich doch noch zunehmend Anerkennung. 1983 ehrt ihn seine Heimatstadt Koblenz mit ihrem Kulturpreis, ein Jahr später erfolgt in Zürich die Gründung der Stiftung Clément Moreau, die sich seither mit grossem Engagement für das Werk des Künstlers einsetzt. Bis zu seinem Tode erlebt er weitere Ehrungen und Ausstellungen. In St.Gallen vermittelt «Kultur im Bahnhof» 2006 mit einer sehr auf das Persönliche ausgerichteten Ausstellung einen Einblick in sein Leben und Schaffen, 2013 widmet ihm die Kellerbühne eine Produktion und jetzt, 30 Jahre nach seinem Tod, zeigt das Historische Museum 107 Linolschnitte aus dem künstlerisch und historisch gewichtigen Zyklus Nacht über Deutschland.