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Actionpainting, Staubsauger, London-Livestream
Das Atolor im Osten von St.Gallen feiert an der Museumsnacht ein Revival. Mit Multi-Multimedia-Performances, die das Publikum zu verborgenen Plätzen führen sollen.

Cruise Ship Misery kommen nach St.Gallen. (Bild: pd)
Anfang 2017 öffnete im St.Galler Krontal ein temporärer Off-Space seine Türen. Zehn Tage lang zeigten rund 15 Kunstschaffende aus St.Gallen und Umgebung im Atolor an der Brauerstrasse ihre Werke. Fast jeden Abend wurde dort wurde gewercht, getanzt, gewuselt, gemalt, gebastelt, gegessen und ja, auch einfach zusammen abgehängt. Es war offenes Atelier, Pop-Up-Galerie und eigenwilliges Museum in einem.
Dieses Jahr gibt sich das Atolor ein Revival, im Rahmen der St.Galler Museumsnacht diesen Samstag. Allerdings nur eine Nacht lang, ohne Leuchtchristbaum und Gwaggli auf dem WC. «Dafür mit ordentlich Wumms!», sagt Initiant Mirko Kircher alias Sugar Mirko vorfreudig. «Through Hidden Places», so der Titel der Performance, die auch in anderen Schweizer Städten auf Tour geht. Und der Name soll Programm sein.
Hier die Rückschau vom ersten Atolor:
Liegt das Publikum auf dem Boden?
Wie schaffen wir einen Übergang von zeitgenössischer Kunst zu partizipativer Unterhaltungskultur? Liegt das Publikum auf dem Boden? Wie viel Raum für Improvisation wollen wir lassen? Zu welchen verborgenen Plätzen möchten wir die Besucherinnen und Besucher mitnehmen?
Diese und andere Fragen stellten sich Kircher und die involvierten Kunstschaffenden zu Beginn. Das Programm für ein abend- oder nachtfüllendes Happening sei nicht nach einem exakt geplanten Konzept entstanden, erklärt er, sondern habe sich organisch durch die gegebenen Umstände und die vorhandenen Netzwerke entwickelt.
Das Resultat: eine Mischung aus zeitgenössischer Kunst, Soundarts, experimenteller Musik, Performances, neuen und traditionellen Medien, künstlicher Intelligenz, Malerei und Clubmusik. Vielfältig und lebendig soll es sein, sagt Kircher, und ein breites Publikum ansprechen. «Weil wir von experimenteller, neuer Musik, zeitgenössischer Performancekunst und anderen Nischenprojekten ebenso fasziniert sind wie von einem klassischen Konzert mit Gesang oder einer wilden Party, haben wir nach Kunst- und Musikschaffenden in unserem Netzwerk gesucht, die durch ihre Live-Auftritte im weitesten Sinn immersiv erfahrbare und verborgene Plätze zu eröffnen vermögen.»
Klingt etwas verschwurbelt? Keine Sorge, das Publikum wird von einer Moderatorin gütig an die Hand genommern und süüferli an die verschiedenen Plätze geführt. Damit das Happening im Kollektiv genossen und mitgestaltet werden kann.
Das Line-Up, wenn man es denn so nennen will, klingt vielversprechend. Mirko Kircher und Moritz Tobler, der das Happening mitorganisiert, sind zusammen Sonicdream. Die beiden St.Galler improvisieren mit elektronischen Klängen und Malerei. In ihrem knapp 40-minütigen Stück steht der intermediale Dialog im Fokus. Klang und Malerei übersetzen, ergänzen oder widersprechen sich intuitiv und unmittelbar und schaffen verträumte, atmosphärische «Hidden Places».
Through Hidden Places:
7. September, ab 17 Uhr, Atolor, Brauerstrasse 25, St.Gallen. Mit veganer Küche von Luuki und Shots von Cocktails & Bitters.
Ebenfalls aus St.Gallen ist Linus Lutz. Er wird, wie schon am letzten Heimspiel, seine Staubsauger singen lassen. Wers damals verpasst hat, sollte sich «Loony’s Happy Hoover Show» nicht entgehen lassen. Ausklingen lassen kann man die Nacht später mit den Tönen von den Herren Klangforscher und Elektromeier. Die beiden hiesigen Soundtüftler spannen für eine «Live Audiovisual Experience» zusammen und versuchen so die Grenzen von Performance Art zu künstlerischer Clubkultur auszuloten.
Justizvollzug, Beschattung, Nachbarschaftspsychosen
Von Bern her kommt Ilmārs Šterns ins Atolor, ein aufstrebender, eigenwilliger Gesangs- und Performancekünstler aus Riga. Im Rahmen des Master Studiengangs Contemporary Arts Practice hat er letztes Jahr das wundersame «Wolve Piece» komponiert, das er am Samstag live performen wird. Als «extrem poetisch» beschreibt ihn Kircher. «Wie von einer anderen Welt.»
Aufmerksame Leserinnen und Leser haben es sicher längst bemerkt: Der Frauen*-Anteil im Atolor ist ähnlich unterirdisch wie jener am Openair St.Gallen. Aber nur auf den ersten Blick, denn Cruise Ship Misery, «das Crypto-Mundart-Duo des Grauens», wie Kircher sagt, werden es herausreissen und dem St.Galler Osten ordentlich feministisch einheizen – wie sie es auch am Frauenstreik in Bern getan haben.
Auf ihrem Debütalbum «Urteil» verarbeiten Sarah Elena Müller und Milena Krstic druckvoll und unbeschönigt Themen wie Justizvollzug, Beschattung, «Nachbarschaftspsychosen und andere Nebenwirkungen der Zivilisation». Am Samstag live, in Abendgarderobe und mit Simultanübersetzung ins Hochdeutsche.
Und schliesslich Pascal Sender. Er ist da und doch nicht da. Sender besuchte in Düsseldorf die Kunstakademie im Fach Malerei und studiert momentan an der Royal Academy School in London. Seit 2016 produziert er interaktive Live-Stream-Malereien und dreidimensionale Bilder, ausgerüstet mit einem VR-Headset und einem Greenscreen Studio. Diesen Samstag performt er live von London aus, das Publikum in St.Gallen kann via Livestream interaktiv an seiner Performance teilnehmen.