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Was, wenn das Video nicht viral gegangen wäre?
Das Urteil im Fall George Floyd: «ein Happy End, das nicht zum Feiern ist», sagt Saiten-Kolumnistin Samantha Wanjiru.

Protestmarsch in Eugene, Oreon, Juni 2020. (Bild: Wikimedia)
Schuldig. In allen Anklagepunkten. So fiel letzte Woche das Urteil im Prozess gegen George Floyds Mörder aus. Nachdem das Urteil ausgesprochen wurde, ging ein kollektiver Seufzer der Erleichterung durch die Sozialen Medien. Endlich fand die lange Geschichte des durch Polizeigewalt getöteten Schwarzen Mannes ein anderes, ein unerwartetes Ende.
Gefühle wie Freude und Triumph bewegten vor allem die Angehörigen der Familie. Auch ich vergoss eine Träne. Ich erinnerte mich zurück an die weltweiten Demonstrationen. Ein Mann, der einen schrecklichen Tod erleiden musse, hat es geschafft, die Herzen der Welt soweit zu bewegen, dass abertausende von Menschen sich dazu berufen gefühlt haben, ein klares Zeichen gegen Rassismus zu setzen.
Es war ein historischer Moment, dem eine gewisse Magie innelag. Die kollektive Energie emanzipierte Bipocs international dazu, mit Stolz und klaren Forderungen in den Vordergrund der Gesellschaft zu treten und den Raum einzunehmen, der ihnen zusteht. Eine wunderbare Entwicklung.
Trotzdem schwang immer noch die Angst mit, dass faire Justiz trotz der BLM-Bewegung nicht möglich sein würde. Zu gross war die wiederkehrende Enttäuschung bei ähnlichen Fällen. So bei Emmett Till in den 50er-Jahren, Rodney King in den 80er-Jahren und Trayvon Martin in den 2000ern.
Immer wieder wurde die Gemeinde des Opfers enttäuscht, trotz offensichtlicher Schuld der Uniformierten. Freispruch um Freispruch sank die Hoffnung auf wahre Gerechtigkeit in den grossen Hallen der Justiz. Das Narrativ, dass das Tragen einer Polizeimarke Unantastbarkeit mit sich bringt, wurde der Afro-amerikanischen Bevölkerung in den USA immer wieder bestätigt.
Umso überraschender nun das Urteil im Falle von George Floyd. Warum mir trotzdem nicht zum Feiern zumute ist, lässt sich durch ein paar simple Fragen beantworten: Was wäre gewesen, wenn wir keine Kamera vor Ort gehabt hätten? Was wäre gewesen, wenn das Video nicht viral gegangen wäre? Wenn die Welt nicht für Gerechtigkeit mobilisiert hätte?
Die Antwort auf diese Fragen ist bitter. Sie zeigt, dass Gerechtigkeit eine gewisse Visibilität voraussetzt, die in vielen Fällen leider nicht gegeben ist. Rassismus ist ein Schatten der Gesellschaft, der sich davor scheut, gesehen zu werden. Er versteckt sich hinter politischen Entscheidungen, gesellschaftlichen Normen und historischen Narrativen.
Den Fehler zu machen, das Urteil als Ende der Bewegung um BLM zu sehen, wäre fatal für all die Ereignisse, die keinen Schweinwerfer erhalten. Was im Gerichtsaal entschieden wurde, ist nicht das Happy End einer tragischen Geschichte, sondern der Start eines langandauernden Prozesses zur Gerechtigkeit für alle.