, 13. Januar 2023
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Herzliche Musikerin, befreiende Pädagogin

Angela Seifert (1956–2022) hat mit Geige und Hackbrett vor allem das Gebiet zwischen Bodensee und Säntis bereist. Ihr Engagement galt aber nicht nur der Musik, sondern auch der freiheitlichen Pädagogik und den Frauenrechten. Ein Nachruf von Pius Kessler

Und wenn sie aufspielte, dann war es nicht ihre Geige, welche die Musik spielte. Nein, es war sie, welche ihrer Musik die Seele, den Klang gab. Ihr Ausdruck, ihr Wesen, ihre Ausstrahlung, ihre Freude, ihr Lachen und ihr Können liessen die Töne schweben und die Musik zum Leben erwecken.

Angela Seifert war mehr als nur eine begnadete Musikerin. Sie liess ihre Musik immer in ihren eigenen Welten ertönen. Sie versprühte Fröhlichkeit, Nachdenken, Sinnlichkeit und Hoffnung gleichzeitig. So als würde ihre Musik nicht nur die Welt umspannen, sondern sie gleich auch herzlich umarmen. Egal ob sie alleine spielte, oder harmonisch mit ihren Musikerkolleg:innen – egal ob Geige oder Hackbrett: Angela Seifert war Musik, ihr Leben lang.

Ein abenteuerliches, bestimmtes Leben. Ein Leben mit viel Auf und Ab, nicht nur in der Musik. Ein Leben aber auch, das Mitte Dezember letzten Jahres ein allzu frühes Ende hatte. Wie viele Menschen Angela Seifert in ihrem Leben bewegt und berührt hatte, das zeigte auch die grosse und äusserst vielfältig gemischte Besucherschaft bei ihrer Abschiedsfeier Ende Jahr in der Kirche Trogen.

Angela Seiferts Leben war vielfältig und ungewöhnlich, so dass sich ein üblicher «Lebenslauf» wohl kaum verfassen lässt. Sicher aber prägten zwei Elemente, die ihr herzlich wichtig waren, ihr Leben nach aussen hin: Erstens die Musik in allen lebensumspannenden Facetten und Formen. Und zweitens eine Pädagogik und Bildung, welche auf befreiender Freiheit aufbaut.

Angela Seifert wuchs als Adoptivkind in einer wohlbehüteten Welt in St.Gallen auf. So jedenfalls erinnerte sie sich immer gerne daran zurück. Und zeitlebens war ihr – nebst ihren Reisen – das Land zwischen Säntis und Bodensee Heimat, auch musikalisch. Ihre Liebe zur Musik entdeckte sie dank ihrem musikalischen Adoptivvater. Die Geige wurde ihr Instrument, ihre Erstausbildung machte sie im damaligen Lehrerseminar in Rorschach.

Doch schon in jungen Jahren rebellierte sie. Angela wollte eigentlich gar nicht Lehrerin in einem System sein, das sie als fremdbestimmt und eng  empfand. Und mit ihrer Geige wollte sie auch nicht länger nur die vorgegebenen Töne nachgeigen.

«Ich wollte mit 18 deshalb die Geige an den Nagel hängen. Doch mit dem Einstieg in die Folkmusik ging die Musik in Haut und Haar, Leib und Seele über!», sagte sie einst selber über sich und diese Zeit.

Und das war typisch. Sie suchte immer nach dem Besonderen, dem Umfassenden, dem Menschlichen. In der Musikgruppe Nachgeldach fand sie mit ihrem Spiel und ihren Ideen vor über 40 Jahren eine erste musikalische Heimat, später dann auch bei Mikado mit ihren Eigenkompositionen und im Septett Ceraya, wo sie ihre Freude und Leidenschaft für die Musik der «Fahrenden aus Ost und West» leben und spielen konnte.

Eine besondere Formation war die Gruppe Schlatt-Express, eine Appenzeller «Ad Hock»-Formation für die – leider nur «ewig geplante» – Amerika-Tournee. Besonders auch ihr mitspielen bei den Appenzeller Space Schöttl, einer Appenzeller Streichmusikformation der «anderen Art».

Musikalische Heimat war in den letzten Jahren vor allem Spindle. In diesem Trio konnte Angela zusammen mit ihrem Mann Stephan Bucher und Hackbrettspieler Lorenz Schefer ihre eigene «Weltmusik» buchstäblich mit «Haut und Haar, mit Leib und Seele» spielen und mit ihrer ansteckend fröhlichen und positiven Art begeistern.

Auch an der Musikschule Appenzeller Mittelland hinterliess Angela Seifert mit der Gründung von zwei jungen Hackbrett-Ensembles Spuren. Ganz nach ihrer Lebensweise «die jungen Menschen sollen sich frei und in Freiheit – auch in ihrer eigenen Musik – entwickeln können und zusammenspielen.» Heute werden die Ensembles von ihrem Nachfolger Nicolas Senn geleitet. Ihr Spiel an ihrer Abschiedsfeier ging sicher auch Angela ans Herz, weil sie – zwar weit entfernt – trotzdem mitten unter allen «dabeiweilte».

So wie mit der Musik hat sich Angela Seifert auch akribisch mit der Erziehung und Bildung beschäftigt. Nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch, alltagsnah und kämpferisch. Ihre Kinder schickte sie nicht in die öffentlichen Schulen, sondern unterrichtete sie zu Hause, gegen den Widerstand vieler offizieller Stellen und Pädagog:innen.

Ihr Wunsch und hartnäckiges Bestreben war auch die Gründung einer freiheitlichen Privatschule nach dem Sudbury Valley Schulmodell. Ziel war es, in der Schweiz eine Schule nach diesen Grundsätzen zu eröffnen: Religiös und politisch unabhängig, der Demokratie und Freiheit verpflichtet. Ihr Einsatz dafür war gross, die Schulgründung aber gelang bisher (noch) nicht.

Frei in der Musik, frei in der Bildung und frei im Leben – dafür lohnte sich zu kämpfen. Dabei unterstützte Angela Seifert in ihrem Leben immer wieder diverse politische Initiativen, die ihrer Lebenshaltung entsprachen. So begleitet sie die damalige Kämpferin fürs Frauenstimmrecht, Elisabeth Pletscher, an vorderster Front mit ihrem Geigenspiel ins Bundehaus nach Bern, um das Anliegen durchzusetzen.

So traf man Angela immer wieder an Orten an, wo für Gerechtigkeit, Kinderrechte, Gleichheit, Umwelt und Menschlichkeit gekämpft, gestreikt oder demonstriert wurde. Mit Engagement, mit Herzlichkeit und mit ihrer ganzen Welt voller wunderbarer Töne. Und auch wenn Angela jetzt in einer anderen Welt aufspielt – ihre weltumspannende und herzliche Musik lebt hier unter uns weiter. Ein Dank und… Trost!

1 Kommentar zu Herzliche Musikerin, befreiende Pädagogin

  • Das lesen wir mit sehr grosser Bestürzung. Sind doch erst unlängst im Restaurant Schäfli Trogen mit Angela und Stephan zusammengesessen. Cornelia (meine Frau) hat damals als Mitwirtin und Kulturverein-Vorstandsmitglied im Rössli Mogelsberg das „Trio Spindle“ immer wieder zu Auftritten eingeladen. Unser herzlichstes Beileid und Mitgefühl. Urs & Cornelia

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