, 6. Juni 2018
keine Kommentare

Wenigstens die Chance, vom Blitz erschlagen zu werden.

Charles Pfahlbauer jr. über Blitzeinschläge bei Bier, am besten auf Gabalier, und über mehr oder weniger regionale Fussballtragödien und -freuden. Auch eine Hammerwerfanlage kommt vor, die im Zusammenhang mit dem Österreicher ja ebenfalls nützlich sein könnte.

Die Schwalben flogen hoch, rundum rumorte ein prächtig grollendes Gewitter, es näherte sich bedrohlich, wenn auch gemächlich, und nährte die Hoffnung, dass es sich diesmal nicht wie so oft ins Kuhfladenhügelland verziehen würde, sondern auch die Gallenstadtfalte begiessen und also kräftig entpollen würde. Wir hockten bei Schnipo und Schüga auf dem halbwegs anständigen Gartensitzplatz des letzten Quartierspuntens im städtischen Bergdorfquartier; spindeldürre, speditive Wirtin, mutmasslich mit grossem Herz, im Willkommens-Spruch auf der Menütafel das Herz in «Herzlich» selbstverständlich gezeichnet, wie üblich in unseren ländlichen Ostbreitengraden.

Wir versuchten ein bisschen über Fussball zu reden, Saisonbilanz und so, doch Begeisterung wollte keine aufkommen, schon gar nicht bei Schmalhans, der aus mir unerklärlichen Gründen immer noch standhaft dem aufgeblähten Klub in der Autobahnkreuzshoppingkiste die Stange hielt, er konnte nicht anders, schon gut. Natürlich hatte er sich hoffnungsfroh von der Hopp-Hüppi-Schwupp-Sutter-Bewegung anstecken lassen und war wie alle seine Gesinnungsfussgenossen jetzt bitter enttäuscht, auch von der versprochenen Trainergranate. Alles nur Strohfeuer und Blindgänger, wie er zeterte, und die von schmalbrüstigen Jungspunden in allen möglichen schwächelnden Medien wohlfeil entdeckte Jubiläumsnostalgie fürs frühere Quartierstadion nur blanker Hohn. Weiter unten ists nicht viel besser, versuchte ich ihn zu trösten, der Halbprofiklub im Osten hatte auch nicht den besten Frühling und die besseren Würste nützen auch nichts, wenn es keine Mittwochabendmätche und kaum Zuschaueraufkommen mehr gibt; ganz zu schweigen vom verzweiflungsfusionierten Verein in der verlassenen Siedlung am Grossen Pfahlbauersee, den hab ich jüngst gegen ein unbekanntes Dorf aus dem Fürstenland verlieren sehen, traurige Vorstellung auf einem jämmerlichen Platz mit zerfetzten Fahnen im Wind und neben einer Hammerwerfanlage, wo noch nie ein Hammer geworfen wurde.

Schmalhans musste immerhin ein wenig schmunzeln. Und das nahende Gewitter beflügelte meine Trostrede: Ich schwärmte ihm vor vom reanimierten FC Raucher und unserem klösterlichen Platz über dem Grossen See, verlässlich jugendlicher Zulauf und Blutauffrischungen, dazu erfreuliche Comebacks früherer Stammspieler wie dem ostdeutschen Bruder Leichtfuss, dem irrdribbelnden Portugiesen oder dem dicklichen Italiener im ausgeleierten Brasilien-Shirt, der die benachbarten Einfamilienhausgärten noch zuverlässiger mit Bällen beglückt als der Thurgauer Glatzkopf, der ebenfalls wieder auftauchte. Kürzlich haben wir sogar im Gewitter gespielt, sägrächt, obwohl wir eine Heidenangst vor den Blitzen hatten, und natürlich wusste noch jeder eine krassere Erzählung von irgendeinem Dorfplatz im Napfgebiet, Kaukasus oder sonst einer gottverlassenen Gegend, wo der Blitz ganze Mannschaften erschlagen hatte.

Wie bestellt schlug nun der erste Blitz in den Hügel hinter dem Quartierspunten, alles zuckte zusammen, die dürre Wirtin packte die Sitzkissen zusammen und am Nachbartisch, wo ein paar tätowierte Trunkenbolde gerade noch die besten Schatzverstecke in den Katakomben des Mühleggbahntunnels und die Vorteile der Dominikanischen Republik fabuliert hatten, erzählten sie sich jetzt von unvorstellbaren Blitztodesfällen. Wie jenem Winterthurer, der angeblich auf der Treppe in der Bahnhofunterführung erschlagen worden war. Es stand in der Zeitung, kein Witz. Aber tröstlich, vor allem für Schmalhans, dessen bedrücktes Gemüt sich mit jedem Blitz und Donner mehr aufzuhellen schien. Wenigstens haben wir in der galligen Falte die leicht erhöhte Chance, vom Blitz erschlagen zu werden, grinste er, mit einem Schnitt von 1,83 Einschlägen pro Quadratkilometer immerhin Rang 1339, das entspricht unter über 6000 Ortschaften im Land doch wenigstens einem respektablen Tabellenrang, um nicht zu sagen einem Europaligaplatz, hihi, im Alpstein und auf dem Säntis sind wir sogar fast ganz vorn dabei. Soviel wusste er dank dem Blitz-Informationsdienst von Siemens, prima Service, auf die deutsche Technik und auf unsere Ostrandzonennatur ist Verlass, rief er jetzt in den schwer tropfenden Himmel; auf dass ein Blitz in diesem Sommer vielleicht den trächtigen, beinrasierten Austrovolksschlagersänger erschlage, der erneut dem Fussballgallen aufgepfropft werde, oder wenigstens dem Dumpfbackenlokalradioleiter, der jüngst die Gegend mit einem Autoknutschdauerrekord beglückt hatte und demnächst wohl mit einem Wettbewerb, wer im Hochhaus am Dorfrand am längsten füdliblutt auf seinem Balkon stehen könnte.

Schmalhans war jetzt richtig fröhlich, und dass wir auf dem Heimweg blitzartig klatschnass waren, kümmerte uns ebenso wenig wie die Blitze, die uns nur um Meter verfehlten.

 

 

Impressum

Herausgeber:

 

Verein Saiten
Gutenbergstrasse 2
Postfach 2246
9001 St. Gallen

 

Telefon: +41 71 222 30 66

 

Hindernisfreier Zugang via St.Leonhardstrasse 40

 

Der Verein Saiten ist Mitglied des Verbands Medien mit Zukunft.

Redaktion

Corinne Riedener, David Gadze, Roman Hertler

redaktion@saiten.ch

 

Verlag/Anzeigen

Marc Jenny, Philip Stuber

verlag@saiten.ch

 

Anzeigentarife

siehe Mediadaten

 

Sekretariat

Isabella Zotti

sekretariat@saiten.ch

 

Kalender

Michael Felix Grieder

kalender@saiten.ch

Melanie Geiger (Minasa-CMS)

support@saiten.ch

 

Gestaltung

Data-Orbit (Nayla Baumgartner, Fabio Menet, Louis Vaucher),
Michel Egger
grafik@saiten.ch

 

Saiten unterstützen

 

Saiten steht seit 30 Jahren für kritischen und unabhängigen Journalismus – unterstütze uns dabei.

 

Spenden auf das Postkonto IBAN:

CH87 0900 0000 9016 8856 1

 

Herzlichen Dank!