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Wer schaut eigentlich wen an?
Das Figurentheater St.Gallen und das Theater Jetzt führen in «@alice.snow.white oder Der letzte Follower» Alice in die Welt der Sozialen Medien ein und lassen sie im Nichts verschwinden. von Lidija Dragojevic

Alice verbiegt sich für ihre Follower. (Bild: pd)
Eine Klasse mit Schüler:innen in jugendlichem Alter besetzt die meisten Plätze des Figurentheaters St.Gallen am Donnerstagabend. Das Verwenden von Smartphones während der Aufführung ist ausdrücklich erwünscht. Die Schüler:innen dürften die Probleme in Verbindung mit Social Media bereits kennen, schenken ihre Aufmerksamkeit dennoch Alice, die alleine in ihrem Zimmer ein Reel für ihre Follower dreht.
Kurzerhand erhält sie Besuch von Algo, Rhythmus und Nutzungsbedingung, die selbstverständlich akzeptierte Gäste sind. Sie verlangen Alices Identität, Unabhängigkeit und Kontrolle und versprechen ihr im Gegenzug viele Follower. Ein «mephistophelischer Pakt» eben, wie es im Dialog zwischen Alice und Nutzungsbedingung heisst.
Ein spielerisch-spassiges Experiment
Unter dem Motto «Ich bewege mich und mit mir bewegt sich die ganze Welt» tanzt, posiert und hüpft Alice in ihren Videos und scheint dabei ordentlich Spass zu haben. Hier wird aber eigentlich genau mit dieser Haltung gespielt. Alices beste Absichten, die Follower zu motivieren und gute Laune zu verbreiten, werden von ihrer Eitelkeit und dem Wunsch, «durch die Decke zu gehen», untergraben, bis sie die Position ihres Avatars – einer Holzpuppe, die der Schauspielerin erstaunlich ähnlich sieht – einnimmt und völlig entstellt auf der Bühne erscheint.
Den Weg dahin bestimmen die Zuschauer:innen als ihre Follower, die im Übrigen aufgefordert werden, @alice.snow.white auf Instagram zu folgen. Wir dürfen also bestimmen, wie Alice nach ihrer Umwandlung aussehen soll. Und doch fühlt es sich an, als wäre uns dieses Mitspracherecht bereits genommen worden: «Ihr entscheidet, wie sie aussehen soll, und wir entscheiden, was ihr entscheidet», erklärt die leibhaftige Nutzungsbedingung, die mal fordernd, mal lustig, immer aber ehrlich auftritt.
Dramaturgie der Entstellung
Huhn und Ei im Kontext von Social Media also: Schauen wir Alice an, oder schauen die Nutzungsbedingung, Algo und Rhythmus, die musikalisch und humoristisch die Stimmung des Stücks gekonnt begleiten, uns an? Das Publikum wird so weit miteingebunden, dass es Mitschuld an Alices Zerfall trägt und mit einem bitteren Nachgeschmack entlassen wird. Die anfängliche Leichtigkeit schwingt plötzlich und auf grausame Art in tiefe Sozialkritik um, bringt das Schicksal von Alice ganz nah ans Publikum heran und versetzt es in ein Gefühl des Schauers.
@alice.snow.white oder Der letzte Follower ist ein Stück für Jung und Alt und hält uns einen Spiegel vor, der uns nichts über die oder den Schönste:n im ganzen Land verrät, sondern vielmehr unsere Ohnmacht gegenüber den Mechanismen von Social Media präsentiert, denen wir mit jedem Klick zustimmen.
@alice.snow.white oder Der letzte Follower ist am 5. und 6. April jeweils um 19 Uhr im Jugendkulturraum Flon zu sehen.