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Wort und Antwort – Christian Mägerle
Er hat das Wort wie einen lieben Freund gepflegt. Am 25. Mai ist der St.Galler Dichter und Lehrer Christian Mägerle gestorben, wie erst jetzt bekannt geworden ist.

Vor der Schenke
am Waagplatz
las einer
Gedichte
Verse
dachte ich
fallen hier kaum
ins Gewicht
So heisst es in einem Gedicht von Christian Mägerle, erschienen in «Wind kommt auf. Gedichte 1984-2003». Mägerle hat seinerseits dafür gesorgt, dass hier in St.Gallen Verse nicht ganz ungehört verhallen. Als Lehrer, als Dichter, als Vermittler und Anreger hat er das literarische Leben der Stadt über Jahrzehnte mitgeprägt in jener unspektakulären Art, die auch den Tonfall seiner Gedichte bestimmt.
Sie sind leise – aber sie fallen durch die Sorgfalt ins Gewicht, mit der die Worte gesetzt sind, durch Konzentration auf ein knappes Bild, auf eine augenzwinkernde Beobachtung, ein unaufdringliches «Memento». Charakteristisch an Christian Mägerles Versen ist ihr menschenfreundlicher Ton. Da will keiner mit Gedichten die Welt verändern, sondern dem Gegenüber die Hand reichen. «Du» ist eines der häufigsten Wörter – so wie in diesem Gedicht mit dem Titel «Winter»:
Lass uns dann und wann
die Spur im Schnee erneuern
die Spur von mir
zu dir, von deiner
zu meiner Tür!
In der Zwischenzeit
mag es schneien.
So einladend hat man Christian Mägerle erlebt, in seinen Texten wie bei Begegnungen in den St.Galler Gassen, an den literarischen Abenden in der Kellerbühne «Unter Christian Mägerles Leselampe», beim Rotwein in einer Altstadtbeiz:
Wir gaben einander
Wort und Antwort
2011, zu seinem 65. Geburtstag, brachte die VGS Verlagsgenossenschaft St.Gallen ein Bändchen mit dem Titel «Was des Wortes ist» heraus, mit Gedichten und einem Essay Mägerles zum St.Galler Dichter Karl Schölly, für den er sich immer wieder eingesetzt hat. Dort waren die Stationen seines Wirkens (neben dem Hauptberuf, den 44 Jahren als Primarlehrer in St.Gallen) verzeichnet. Von dort stammt auch das Porträtbild (Foto Manuela Graf).
Mit 31 publizierte Christian Mägerle das erste Gedichtbändchen «Augenblick des Weinsterns», es folgte eine Reihe weiterer, stets gestalterisch origineller Publikationen, darunter «Irgendwogeläut», «Das Rotweinblatt», «Lippenkinder» und «Augen im Kopf». Als Herausgeber betreute er Editionen zu Karl Schölly, Georg Thürer oder Frieda Hilty-Gröbly, er initiierte mit Richard Butz die «SchreibwerkStadt St.Gallen» 1986 oder in einem fünfköpfigen Team die Lyrik-Anthologie «Bäuchlings auf Grün». Als Vermittler führte er durch eine Vielzahl literarischer Abende und präsidierte jahrelang die Gesellschaft für deutsche Sprache und Literatur (GdSL).
Einen «Münzmeister» nennt ihn Rainer Stöckli im Nachwort zu «Was des Wortes ist»: keiner, der mit grossen Wort-Noten um sich warf. Aber der genaue, zugleich kostbare und brauchbare Wortmünzen prägte.
Am 25. Mai ist Christian Mägerle, wie die Öffentlichkeit erst jetzt erfährt, gestorben. Eine erhoffte Buchpublikation über Ostschweizer Lyrik aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist nicht mehr zustande gekommen. Das Konzept dafür habe Christian Mägerle noch erstellt, sagt Richard Butz, der das Buch anregte. Vorgekommen wäre jene Dichter-Generation, die Mägerle stets besonders am Herzen lag: Karl Schölly, Georg Thürer, Heinz Helmerking, Richard B.Matzig, der junge Hans Rudolf Hilty, der frühe Joseph Kopf, Julie Weidenmann, Leonie E.Beglinger, Siegfried Einstein und viele andere. Christian Mägerles Tod reisst eine Lücke nicht nur menschlich, sondern auch für das literarische Gedächtnis der Region.
An seinem Geburtstag, dem 16. Oktober, planen seine Weggefährten einen Gedenkanlass in St.Gallen-Lachen. Dabei wird wohl auch dieses Kürzestgedicht noch einmal zu hören sein:
Ein Dichter
Er gibt dem Worte,
was des Wortes
ist.
Danke, Peter Surber, für den feinsinnig präzisen Nachruf auf Christian Mägerle.
Christian hat ihn verdient.
Fred
Wer soll das nun richten, lieber Christian? Deine überlegte Ruhe wird uns an allen Ecken und Enden fehlen, deine liebenswürdige Zuwendung und dein klares Urteil auch.
traurig Ivo Ledergerber
Der Ausblick, allmählich
verfärbt von Leim,
Deckblätter und Strasse
zerschnitten
vom selben Messer.
Die Asphaltierung ist
geplant wie das Sterben.
(Günter Eich)
*
im postfach
wollte er besucht sein
(wie peter pan)
die tritonen-spiele
waren ihm wichtig
(unter dem dach des lehrerseminars)
die „botschaften des regens“
(suhrkamp, weisse reihe)
hat er mir geschenkt
vor langer zeit
hing im schaukasten
einer buchhandlung ein foto
(zwei köpfe, zwei gläser
rotweingefüllt)
das gespräch
über den übermässigen gebrauch
der genitivmetapher
(die stunde des sterns)
fand vorm „hörnli“ statt
charlie als rosenkavalier
(zu später stunde)
&
wir
elektraisiert
danke, christian
Lieber Christian, heute, 18. August 2020, habe ich zufällig im Internet von deinem Tod erfahren. Der erste Gedanke: Danke für alles, was wir zusammen erleben durften und für alles, was du für mich getan hast. Danke für deine Grosszügigkeit im weitesten Sinn.
Ich erinnere mich jetzt: unsere letzte Begegnung war vor ein paar Jahren in Rorschach, an der Bahnlinie unterhalb des Lehrerseminars, da ich damals einen kleinen Auftrag an der Hochschule für Logopädie hatte. Es wurde ein kleines, schönes Gespräch im Stehen. Das ist also unser Abschied gewesen.
Martin