, 3. Dezember 2024
keine Kommentare

Zwei Sammler, Künstler, Konstrukteure

Der Kunstraum Kreuzlingen zeigt mit «Kosmos» und «Self Storage» zwei Ausstellungen, die für sich stehen, sich aber verzahnen und ergänzen. Die beiden Künstler Martin Spühler und Martin Anderegg verbindet das Interesse am Aussortierten, Alten, für unbrauchbar Erklärten.

Martin Andereggen: Hard Soup (Montessori deschooling exercises – tube and container – what falls through, what stays put). (Bilder: Martin Andereggen)

Im Pariser Musée d’Art Moderne zeigt der Maler Albert Oehlen seinen Blick auf den 2012 verstorbenen Bildhauer Hans Josephson. Im Kunstmuseum Appenzell präsentiert die Künstlerin Daiga Grantina ihre Sicht auf die 1997 verstorbene Bildhauerin Kim Lim in Wechselwirkung mit ihren eigenen Werken. Im Kunstraum Kreuzlingen hat Martin Anderegg den Metallplastiker Martin Spühler (1943–2023) in Szene gesetzt.

Verstorbene Künstler:innen durch eine aktuelle künstlerische Brille zu betrachten, hat sich zu einem Trend entwickelt. Verwunderlich ist das nicht, denn der künstlerische Zugang ist ein anderer und freierer als jener von Ausstellungsmacher:innen oder Kunstwissenschaftler:innen. Wenn das Verständnis für den kreativen Prozess durch die eigene künstlerische Arbeit geprägt ist, erlaubt dies eine intensive, persönliche Auseinandersetzung mit dem Werk der anderen.

Abfall wird Instrument

So hat Martin Anderegg für das Werk Martin Spühlers einen besonderen Filter installiert: Wer den Kunstraum Kreuzlingen betritt, steht einem roten, halbtransparenten Kunststoffvorhang gegenüber. Dieser schirmt den Ausstellungsraum ab und erfordert einen Umweg, bis sich schliesslich ein schmaler Durchgang auftut. Erst dann sind Spühlers Klangkonstruktionen in voller Pracht zu sehen: Die Drehteller mit Haken und Holzklöppeln. Die verfremdeten Flöten in einem Metallbehälter. Die umgebauten Pianos, deren Hämmerchen nicht auf Saiten schlagen, sondern gegen Löffel, Stahlfedern und etwas, das ein Kerzenständer gewesen sein könnte.

Martin Spühler: Streichelkanone, Metall, 145 × 300 × 85 cm

Die Streichelkanone, die Tropfsäule, die Stichorgel und ihre Verwandten: Werden sie angeschlagen, gedreht, geschwungen oder mit dem Bogen gestrichen, tönen diese Klangplastiken in vielfältigen Klängen von glockenhell bis donnernd tief. Hier zu musizieren, ist freilich nur Profis erlaubt, aber auch visuell geben die ungewöhnlichen Instrumente einiges her. Das geschwärzte Metall, die Beulen, Dellen und ausgefransten Kanten strahlen eine Endzeitästhetik aus.

Martin Spühler: «Kosmos» / Martin Anderegg: «Self Storage». Zwei parallele Kunstausstellungen: bis 23. Februar, Kunstraum Kreuzlingen

Konzertreihe mit Noëlle-Anne Darbellay und diversen Gastmusiker:innen: 7., 14. und 21. Dezember, 18 Uhr, Kunstraum Kreuzlingen

kunstraum-kreuzlingen.ch

Martin Spühler, der seine künstlerische Arbeit als Puppenspieler begann, baute seine Musikobjekte aus Abfallmaterial. Er fand die Teile als Schrott in Mulden, suchte Gebrauchtes, Altes und Ausgedientes zusammen. Er hämmerte, lötete, schweisste. Darauf nimmt Martin Anderegg Bezug, denn der rote Vorhang ist aus Werkstattfolien zusammengestückelt, wie sie beim Abschirmen von Schweissarbeiten zum Einsatz kommen. Sie sollen Funkenflug stoppen und das grelle Licht abschirmen. Martin Anderegg bestückt den roten Vorhang mit kleinen Magnetkettchen und verleiht ihm so einen Hauch Glamour.

Diese Verfremdungseffekte sind kennzeichnend für seine Werke, die bis auf den roten Vorhang im Untergeschoss zu sehen sind. Diese Platzierung hat der Künstler treffend ausgewählt. Hier, in künstlichem Licht, unter niedriger Decke und zwischen rauen Betonmauern und -pfeilern entfalten Andereggs Werke ihren zuweilen unheimlichen, oft düsteren Charakter.

Gespenstisches im Halbdunkel

Auch Martin Anderegg hat eine Vorliebe für Aussortiertes, Übriggebliebenes, aus der Zeit Gefallenes. Er montiert alte Uhrengehäuse zu Zellen zusammen, die an fantastische Architekturen oder Labyrinthe erinnern. Masken montiert er auf Schuhe oder Handschuhe, gespenstisch blicken sie ins Halbdunkel. Einen rosafarbenen Plüschelefanten klammert er in achtfacher Ausfertigung ans Unendlichkeitszeichen.

Martin Anderegg kann alles verwenden. Von der Lampe bis zum Fahrzeugkatalysator, von Schlacke bis zu getrockneten Pflanzen. Zusätzlich vervielfältigt er Dinge im 3D-Druck, so setzt er beispielsweise mit Ratten- und kleinen Adlerfiguren zusätzliche Akzente. Andereggs Materialsammlung ist gross und ständig kommt Neues hinzu.

Bei Martin Spühler ist das Werk zwar abgeschlossen, dennoch lebt es weiter. Dafür sorgt während der Ausstellungsdauer die Konzertreihe «Les Concerts de Noëlle» von und mit der Musikerin Noëlle-Anne Darbellay. Zeitgenössische Musik wird dann zusammen mit neuen, eigens für Spühlers Klangobjekte konzipierten musikalischen Kreationen aufgeführt.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Impressum

Herausgeber:

 

Verein Saiten
Gutenbergstrasse 2
Postfach 2246
9001 St. Gallen

 

Telefon: +41 71 222 30 66

 

Hindernisfreier Zugang via St.Leonhardstrasse 40

 

Der Verein Saiten ist Mitglied des Verbands Medien mit Zukunft.

Redaktion

Corinne Riedener, David Gadze, Roman Hertler

redaktion@saiten.ch

 

Verlag/Anzeigen

Marc Jenny, Philip Stuber

verlag@saiten.ch

 

Anzeigentarife

siehe Mediadaten

 

Sekretariat

Isabella Zotti

sekretariat@saiten.ch

 

Kalender

Michael Felix Grieder

kalender@saiten.ch

Melanie Geiger (Minasa-CMS)

support@saiten.ch

 

Gestaltung

Data-Orbit (Nayla Baumgartner, Fabio Menet, Louis Vaucher),
Michel Egger
grafik@saiten.ch

 

Saiten unterstützen

 

Saiten steht seit 30 Jahren für kritischen und unabhängigen Journalismus – unterstütze uns dabei.

 

Spenden auf das Postkonto IBAN:

CH87 0900 0000 9016 8856 1

 

Herzlichen Dank!