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di ganz wält taktet
Giftland, der neue Mundart-Roman von Dominic Oppliger, ist eine tragikomische Demontage des Roadtrip-Mythos und liest sich dabei wie ein modernes Roadmovie. Am Mittwoch liest er im St.Galler Palace.
Die Geschichte beginnt irgendwo auf dem Interstate Highway in Utah. Sämi sitzt auf der Rückbank eines Vans und sieht eine Landschaft vorbeirasen, getaktet durch Böschungen, Weiden, Lärmschutzwände, Brachflächen und Pick-Up-Trucks. Im Van sind sie zu viert: Remo, Maja, Pière und Sämi. Eine Schweizer Band auf Amerika-Tour.
Recht schnell wird klar: Es ist alles anders, als Sämi es sich erhofft hat. Das langersehnte «On the Road» schmeckt zunehmend wie ein abgestandener Schluck Mineralwasser aus einer in der Autotür eingeklemmten Pet-Flasche, auf die schon ein halber Tag die Sonne schien. Dumpfe Routine. Auch die Stimmung zwischen den Bandmitgliedern ist meist mehr lethargisches Nebeneinanderher-Leben als wohliges Gruppengefühl. Viel wird geschwiegen, gelesen, aus dem Fenster geschaut.
Dominic Oppliger: Giftland. Der gesunde Menschenversand, Luzern 2023
Lesung zusammen mit dem Basler Musiker Papiro: 12. April, 20.30 Uhr,
Palace St.Gallen
In Sämis Kopf drehen sich Gedanken – ein Gemisch aus Erinnerungen, Träumen und Status quo. Trotz der schnellen Vorwärtsbewegung des Vans hat Sämi das Gefühl, überhaupt nicht vom Fleck zu kommen. Er sieht sein Leben als Loop, als Schlaufe. Oder auch: als Linie, die irgendwo links angefangen hat und sich stetig nach rechts weiterzieht, «unzich winen rote fade durs ganze aaxammlete chrüsimüsi fo erinneretem oder ferzelltem oder troimtem und fergässenem und schdedt und bett und klubs und sofas und weezees und mänsche, näme, daate und fotene dureschlänglet, bis si dänn eines tages ändet, wänn de van wider am schtart aachunt und ufem parkplatz fode autofermiätig abgschtellt wird».
Geschriebene Musik
Im Grübeln entdeckt er plötzlich etwas Erstaunliches: Wenn man genau hinschaut, erkennt man, dass sich die Räder der vorwärtsfahrenden Autos eigentlich rückwärts drehen. Diese Erkenntnis liefert Sämi ganz neue Ansichten – und er kommt mithilfe eines kleinen Tricks plötzlich doch vom Fleck.
Giftland ist das zweite Buch des gebürtigen Aargauers Dominic Oppliger, nach acht stumpfo züri empfernt (der gesunde Menschenversand, 2018). Es ist ebenfalls in einer Mundart verfasst, die sehr nah an gesprochener Sprache ist, und sich wunderbar zum Vorlesen eignet. Das ganze Buch ist auf verschiedenen Ebenen von Musik geprägt; wie es gesetzt ist, erinnert an Lyrics oder einen Gedichtband. Es gibt Strophen, Absätze, Wiederkehrendes, dafür nirgends einen Punkt. Manchmal entsteht auch das Gefühl von Crescendo und Decrescendo, oder anders gesagt: Die Welt dehnt sich aus, wird laut und turbulent, und schrumpft wieder zusammen, verstummt. Die Sprache hat einen eigenen Rhythmus, fast schon Pulsschlag, jedes Wort sitzt und es ist alles «reduced to the max».
Inhaltlich geht es natürlich auch viel um Musik. Aber auch um sehr viel anderes. Es ist eine konstante, dichte Vermengung von Aussen- und Innenwahrnehmungen, die einen starken Sog erzeugt. Und auch wenn sich das gewünschte Lebensgefühl bei Sämi nicht richtig einstellt, bekommt man es als Leser:in sofort. Man wird förmlich hineingezogen in dieses Roadtrip-Movie, so sehr, dass man die plastifizierten Speisekarten sehen, die Tankstellen riechen, die Soundchecks hören und die harten Motelmatratzen fühlen kann.
Der Himmel wird heller
Auch wenn sich alles in den USA abspielt, gerät man zwischendurch in sehr schweizerische Szenarien. Zum Beispiel bei einer Party von Pro Helvetia, mitten in New York, in einem «coolen Offspace», bei der sich Sämi kaum noch aufrecht auf seinem Stuhl halten kann, und von seinem Gegenüber in einen endlosen Monolog gezogen wird.
de gianmarco isch in faart und referiert
über d schwizer kulturlandschaft
und über diä wos ebe wükli druff händ
d pönks
d querschlägerinne
di eigesinnige
di tribne
d freaks
di richtige künschtler und künschtlerinne
und laberet und laberet oni änd
und es chönnti ez öpper cho d musig abschtelle
es chönti öpper s putzliecht aamache
es chönt e schtegosaurusfamilie ferbilaufe
es chönten zunaami uf si zuerolle
(…)
Obwohl es den meisten Leuten in diesem Buch die meiste Zeit eher schlecht geht, macht Giftland grossen Spass. Und gegen Ende bekommt man das Gefühl, das sich die graue Wolkendecke etwas lichtet – zumindest für Sämi.