, 8. März 2012
keine Kommentare

Bedächtig, aber konsequent

Alles ist bedächtig und ruhig. Das Publikum, die Luft im Raum für Literatur und die Autorin Ursula Fricker, während sie aus ihrem dritten Roman «Ausser sich» liest. Ihre Beine ruhen unter dem Tisch, die Hände darauf. Der Buchanfang ist genauso. Er fühlt sich an, wie eine wattige Sonntagserinnerungen, wie ein Hochsommermorgen, der mit Kaffeeduft anhebt. […]

Alles ist bedächtig und ruhig. Das Publikum, die Luft im Raum für Literatur und die Autorin Ursula Fricker, während sie aus ihrem dritten Roman «Ausser sich» liest. Ihre Beine ruhen unter dem Tisch, die Hände darauf. Der Buchanfang ist genauso. Er fühlt sich an, wie eine wattige Sonntagserinnerungen, wie ein Hochsommermorgen, der mit Kaffeeduft anhebt. Alles ist kugelrund und glücklich. Doch dann hat Sebastian ein Unfall.

Ursula Fricker liest konzentriert und weich. Die Schaffhauserin die schon lange in Berlin lebt, sagt «Bioschemisch» und «Ne, ne», aber sonst ist die Schweizer Klangfarbe noch da. Sie wirkt ganz bei sich. Das einzige was an diesem Abend «Ausser sich» bleibt, ist der Titel des Buches. Erzählt wird darin aber auch nicht eine irre Geschichte, die total abgefahren und hinüber ist, sondern eine Geschichte die unerträglich ist und Fragen stellt, die man sich nicht zu stellen erlaubt.

Katja, Sebastians Frau, hat von Jetzt auf Nun einen anderen Mann. Die starken Hirnblutungen haben aus Sebastian einen Menschen gemacht dessen Augen «leer in einem Winkel» hängen, einen Menschen mit Windeln und Speichelfäden bis auf die Brust. Er weiss nicht mehr, wer sie ist, wer er ist – er hat keine Erinnerungen mehr. Wäre es nicht besser, er würde gar nicht mehr …

Das Publikum stellt Fragen, nach dem richtigen Umgang mit diesen Menschen, die zwischen Leben und Tod gefangen sind, Fragen, nach der Teilbarkeit von Erinnerung und darüber, ob das schwere Thema nicht die sprachliche Ebene verdränge. Hier wird Ursula Fricker bestimmt. Sprache ist für sie nie Selbstzweck. Es sind die starken Themen, die sie zum Schreiben bewegen. Man könnte auch sagen: heftige Themen. Mit ihnen treibt sie uns nicht auf laute und emotionale Art an unsere Grenzen, sondern sie folgt ihnen bedächtig, faltet sie immer weiter auseinander, konsequent bis an die Denkränder.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Impressum

Herausgeber:

 

Verein Saiten
Gutenbergstrasse 2
Postfach 2246
9001 St. Gallen

 

Telefon: +41 71 222 30 66

 

Hindernisfreier Zugang via St.Leonhardstrasse 40

 

Der Verein Saiten ist Mitglied des Verbands Medien mit Zukunft.

Redaktion

Corinne Riedener, David Gadze, Roman Hertler

redaktion@saiten.ch

 

Verlag/Anzeigen

Marc Jenny, Philip Stuber

verlag@saiten.ch

 

Anzeigentarife

siehe Mediadaten

 

Sekretariat

Isabella Zotti

sekretariat@saiten.ch

 

Kalender

Michael Felix Grieder

kalender@saiten.ch

Melanie Geiger (Minasa-CMS)

support@saiten.ch

 

Gestaltung

Data-Orbit (Nayla Baumgartner, Fabio Menet, Louis Vaucher),
Michel Egger
grafik@saiten.ch

 

Saiten unterstützen

 

Saiten steht seit 30 Jahren für kritischen und unabhängigen Journalismus – unterstütze uns dabei.

 

Spenden auf das Postkonto IBAN:

CH87 0900 0000 9016 8856 1

 

Herzlichen Dank!