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Walsers Sternstunde
Es war einer jener Abende, von denen man Jahre später vermutlich einmal sagen wird: Weisst Du noch? Erinnerst du dich, damals, an jenen Sonntagabend irgendwann im September 2012? Und man wird antworten: Klar weiss ich noch, als wärs gestern gewesen. Gestern also wars, am 23. September, im Markus-Sittikus-Saal in Hohenems im Vorarlberg: Der junge Bariton […]

Es war einer jener Abende, von denen man Jahre später vermutlich einmal sagen wird: Weisst Du noch? Erinnerst du dich, damals, an jenen Sonntagabend irgendwann im September 2012? Und man wird antworten: Klar weiss ich noch, als wärs gestern gewesen.
Gestern also wars, am 23. September, im Markus-Sittikus-Saal in Hohenems im Vorarlberg: Der junge Bariton Manuel Walser aus Teufen gibt erstmals einen Liederabend im Rahmen des Festivals Schubertiade – noch nicht im Hauptprogramm, sondern in der Nachwuchsreihe «Referenzen», aber trotzdem: Das ist quasi der Ritterschlag im internationalen Klassikbetrieb, Abteilung Sologesang. Und am Ende brausen Bravos und Fussgetrampel durch den zuvor andächtig stillen Saal, der Sänger und seine Pianistin, die Georgierin Anano Gokieli fallen sich um den Hals.
Manuel Walser singt eine Reihe nächtlicher Lieder von Franz Schubert sowie den Zyklus «Dichterliebe» von Robert Schumann. Das braucht im ersten Teil gewaltig Ruhe und Spannkraft. Das Schimmern von Sternen und Mond, Sehnsuchtsakkorde, das fast wortlose Fremdsein des Wanderers in der Welt: Kostbar und karg an Tönen ist das geschildert, kein Spektakel, nur konzentrierteste Innerlichkeit. Manuel Walsers lyrisch strömender Bariton hält die Spannung, gibt den Nachtschatten schwarze Fülle und dem einsamen Ich berührende Gestalt – besonders im berühmten «Nachtstück» mit seinem Todesfinale.
Schumanns «Dichterliebe» dann wird zum bald wilden, bald nachdenklichen Spiel um Liebe und Leid. Rose und Lilie spuken vorbei, des Sängers Groll und Zorn auf die untreue Geliebte kommt handfest daher, die Tränen («Ich hab im Traum geweinet») fliessen gleich darauf in langsamster Untröstlichkeit. Und das Schlussstück «Die alten bösen Lieder» kippt packend von Schimpflust in blanke Verzweiflung. Nach anderthalb Stunden Rezital noch ein solches Pianissimo gestalten zu können, ist hohe Schule.
Schubert und Schumann: Das ist der Gipfel musikalischer Empfindlichkeit. Dass einer mit gerade einmal 23 Jahren so viel davon vermitteln kann, ist mehr als aussergewöhnlich. Manuel Walser und seine energiegeladene Begleiterin verfügen über die ganze Palette von Trauer, Hoffnung, Wut und Pathos – am wenigsten noch über die Ironie, die in den Heine-Versen auch aufblitzt.
In Berlin bei Thomas Quasthoff im Studium, hat Manuel Walser einen idealen Start zu einer Karriere erwischt, die glänzend zu werden verspricht. Kein Wunder, reiste nicht nur eine zahlenstarke Fraktion Ostschweizer Fans nach Hohenems, sondern auch eine Besucherin aus Wien: Sie sei eigens hergekommen, um den künftigen Star zu hören.
Später wird sie vielleicht einmal sagen: Wisst ihr noch, damals?