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«Die Schweiz? – Banker, Bourgeoisie, Business»
Stephen Malkmus (45) ist der Gründer der Neunziger-Indie-Band Pavement. Nach Zusammenarbeiten mit David Berman (Silver Jews) und Beck tourt er nun mit seinem fünften Soloalbum durch die Welt. Ende November hat ihn der «Saiten»-Autor und -Fotograf Marco Kamber im Keller eines Zürcher Clubs getroffen. Malkmus hockt wie ein Sack in der dunkelgrünen Ledercouch. Er faltet […]

Stephen Malkmus (45) ist der Gründer der Neunziger-Indie-Band Pavement. Nach Zusammenarbeiten mit David Berman (Silver Jews) und Beck tourt er nun mit seinem fünften Soloalbum durch die Welt. Ende November hat ihn der «Saiten»-Autor und -Fotograf Marco Kamber im Keller eines Zürcher Clubs getroffen.
Malkmus hockt wie ein Sack in der dunkelgrünen Ledercouch. Er faltet seine Hände über dem Bauch und legt seine Beine auf den Fliesentisch.
Marco Kamber: Pavement haben sich vor elf Jahren aufgelöst. Sie haben seitdem fünf Soloalben herausgebracht. Trotzdem als erstes eine Pavement-Frage: Was hat es mit dem Song «Zürich is stained» auf sich?
Stephen Malkmus: Bevor ich das Lied geschrieben hatte, war ich bereits zwei, drei Mal hier. Ich kannte die Stadt einigermassen. Besser kannte ich allerdings ihr medial vermitteltes Bild. Ich staunte immer: So ein kleines Land schafft es immer wieder über den Ozean in die Amerikanische Presse. Die Protagonisten waren stets die Banker, die Nebenrolle kriegten die Junkies. Hatte Zürich nicht einmal grosse Probleme mit einer offenen Drogenszene? Wir spielten in den neunziger Jahren einmal ein Konzert in einem Club nahe jenes Fixer-Parks – wie hiess der schon wieder?
Sie meinen wohl den Platzspitz; der ist heute «sauber». Warum aber ist Zürich nun «stained»?
Die Idee für den Song war ein junges Liebespaar einer fiktiven Geschichte in meinem Kopf. Beide sind Angestellte einer Mega-Bank, händchenhaltend auf dem auftreibenden Karrieren-Ast. Sie werden dann beide nach Zürich an den Paradeplatz versetzt. Alles scheint sehr romantisch, klappt aber doch nicht: Die beiden arbeiten so viel, dass sie keine Zeit mehr für einander finden. Alles bricht auseinander. Und Schuld an solchen Dingen ist natürlich immer jemand anderes; in diesem Fall die Stadt, Zürich. Aber denken Sie jetzt nicht, ich würde mit meinen Texten gerne Steine gegen das Wirtschaftssystem werfen.
Was denn? Sie schreiben Geschichten von Banken und den Problemen, die sie auslösen können.
Ja schon. Ich schrieb aber noch nie Lieder, um polit- oder gesellschaftskritische Statements zu streuen. Mir gefällt es vielmehr, kleine Geschichten, die sich im Leben halt so abspielen, für mich passend musikalisch zu illustrieren. Vielleicht mögen die Texte dann kryptisch wirken. Es gibt aber immer eine Narration.
Und wenn Sie an gescheiterte Banker-Liebesbeziehungen denken, denken Sie an Zürich?
Uns Amerikanern, jedenfalls mir und meinem Umfeld, schossen in den neunziger Jahren gewisse Bilder in den Kopf, wenn jemand von der Schweiz sprach. Da gibt es die herumrennenden Banker, die Bourgeoisie, das dicke Business. Dann natürlich das gebunkerte Judengold, der ewige Sonderstatus innerhalb Europas. Vielleicht eben noch dieser Platzspitz und das Marihuana, das scheinbar legal geraucht werden durfte. Und nicht zu vergessen: die hier trotz allem herrschende Gemächlichkeit.
«Diesen Slacker-Begriff habe ich damals nie richtig
verstanden. Uns und einigen befreundeten Bands wurde der Hänger-Stempel aufgedrückt. Wie absurd!»
Apropos Gemächlichkeit. In den Neunzigern haben Sie sich mit Pavement mit einer schönen Lockerheit nach vorne gespielt. Die Zeitungen nannten Sie «die Meister der Slacker der Musikbranche».
Diesen Slacker-Begriff habe ich damals nie richtig verstanden. Uns und einigen befreundeten Bands wurde der Hänger-Stempel aufgedrückt. Wie absurd! Es war ja nie so, dass wir irgendwann im Bandraum waren und meinten «Hey los, hängen wir ein wenig rum, das macht sonst noch niemand in der Musikwelt, das wäre etwas Neues und kommt bestimmt gut an». Wir waren einfach die Kinder der Bourgeoisie, die nicht gross was fürs Geld machen mussten. Wir hatten keine gravierenden Probleme und immer schön Zeit, um in dieser Gemächlichkeit zu leben. Dementsprechend färbten sich wohl unsere Melodien und Texte. Und irgendwann schafften wir es dann ins Musikfernsehen. Die Typen dort mussten uns halt irgendein Ettikett verpassen. Schliesslich darf man nicht vergessen, was in den neunziger Jahren sonst so abging: Hinter jeder Gruppe, hinter jedem Star steckte ein Konzept. Da gab es beispielsweise die «richtigen Männer» mit ihren Metal-Gitarren. Die süssen Jungs tanzten in Boy-Groups. Und wir waren dann die, die lieber mit ihren Slacker-Kumpels Sonic Youth und Beck rumhingen, als ernsthaft zu proben. Welch schöne Konstruktion!
Sie leben seit diesem Herbst mit Ihrer Familie in Berlin. Weshalb der Umzug?
Meine Frau ist Künstlerin, sie macht Keramiken. Da lebt es sich in Berlin einfach angenehmer als in Portland. Auch wenn Portland weltweit bekannt ist für seine liberale, fast schon euphorische Haltung gegenüber Kunstschaffenden. Berlin ist sehr angenehm. Man findet schnell eine günstige Wohnung, es gibt viele leere Studios. Zudem sind alle grossen Galerien vor Ort und man hat schnell Kontakte geknüpft. Ich meine: Wohnen Sie in Zürich? In welche Stadt würden Sie als Kunstschaffender denn derzeit ziehen, wenn Sie die Wahl hätten?
«Kann schon sein, dass man mehr
Inspiration findet, wenn es rundherum
einmal nicht so kuschlig ist.»
Vielleicht raus aus der Komfort-Zone, einmal irgendwo hin, wo nicht jede(r) zweite etwas mit Kunst macht?
Dieses Argument höre ich oft. Kann schon sein, dass man mehr Inspiration findet, wenn es rundherum einmal nicht so kuschlig ist. Ich bin mir aber sicher: Willst du heute mit deiner Kunst Erfolg haben, zählt ein Umfeld, in dem du dich vernetzen kannst, und das dich versteht und als Künstler respektiert. In der Kunst geht es immer ums Geschäft, und das wird immer härter.
Sie haben Amerika hinter sich gelassen …
Es war mehr ein «nach Berlin gehen» als ein «bloss weg aus den USA». Es ging nicht um eine Flucht, wie bei vielen anderen Leuten, die Amerika satt haben. Ein Freund von mir meinte «super für euch, dass ihr endlich gehen könnt». Andere Freunde habe ich lange nicht mehr gesehen, weil sie Amerika damals zu Bushs Zeiten den Rücken zugekehrt hatten. Viele von ihnen wohnen jetzt irgendwo in der Provence in Frankreich, haben kleine Häuser oder ziehen ständig um. Was ich wiederum sehr amerikanisch finde. Es scheint mir eine hippie-ähnliche Bewegung zu sein, die letztlich vor allem die individuellen Bedürfnisse befriedigt und nichts zu einer Verbesserung der Welt beiträgt.
Ähnlich hört sich auch die Kritik an der weltweiten Occupy-Bewegung an.
Ich weiss nicht so genau Bescheid darüber und habe das Ganze eher flüchtig verfolgt. Natürlich ist es toll, wenn viele Leute miteinander für etwas einstehen und Dinge kritisiert werden, die in oder wegen der Wirtschaft tatsächlich schief laufen. Dass sich jetzt so viele normalerweise politisch inaktive Menschen mit Transparenten auf öffentlichen Plätzen treffen, zeigt ein gewisses allgemeines Misstrauen. Ob Occupy aber auch wirklich Hebel in Gang setzen kann, weiss ich nicht. Gerade jetzt, wo die Bewegung schon eine Weile besteht, verliert sie wohl etwas an Attraktion der breiten Masse.
Sie meinen: Die einst tolle Spirale verkommt zum geschlossenen Kreis?
Ungefähr so, ja. Die lassen sich doch alle von sich selber und ihren Träumen einlullen, haha. Nein, im Ernst: Es ist ja so, dass an einigen Occupy-Schauplätzen die Demonstranten zu den meisten Regeln der Behörden «ja» sagen, um jeglicher Konfrontation mit der Staatsgewalt aus dem Weg zu gehen. Man will es allen recht machen. Ob man so, also ohne jeglichen Druck und ohne das Risiko einzugehen, in Konflikte mit dem Staat verwickelt zu werden, als Protestbewegung mit ihrem eigentlichen Nutzen überleben kann? Ich bezweifle es.
Foto: Marco Kamber