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Fangesänge – eine unterschätzte Kunstform
Fussballfans werden gern als grölende Menge verschrien, die es besoffen gerade noch hinkriegt, möglichst laut «lalala» oder «lololo» zu singen. In Tat und Wahrheit weisen Fankurven aber ein oft erstaunlich kreatives Liedgut auf.

(Bild: zvg)
Der Chefredaktor des deutschen Fussballmagazins «11 Freunde», Philipp Köster, zeigte sich jüngst erfreut über den «Einblick in die eidgenössische Sangeskultur», den sie in der aktuellen Ausgabe des SENF gesehen hatten: «Wussten wir ja nicht, dass sie in St.Gallen nach einer Reihe von Niederlagen herrlich dialektal intonieren: ‘Au mol gwünnä isch schö’».
Während für die FCSG-Fans das Dialektale natürlich eher zweitrangig ist, zeigt dieses Beispiel bereits, was in Fankurven mitunter eben auch passiert: Niederlagen werden ironisch verarbeitet und das Mittel gegen Trübsal gleich mit auf den Weg gegeben – «und wenns mol gar nöd lauft, denn hämmer s’Chloschterbräu».
Bisweilen wird eine schlechte Phase gar als echte Prüfung der Leidenschaft beschrieben. Darum heisst es in einem anderen Lied des Espenblocks: «Mir, wo so vil mönd liidä, für üsän Fuessballclub…»
Weit weg von zuhause…
Natürlich sind die Lieder der Fans aber nicht immer bloss eine Form der Verarbeitung schlechter Resultate. Auch die Gegner dürfen gerne wissen, was man von ihnen und ihrer Stadt hält. Zuweilen werden dafür Hits der Schweizer Musikgeschichte adaptiert. In Zürich singen die St.Galler Fans gerne mal «Mir sind wiit wäg vo diheime, inere Stadt wo mer nöd wönd si» und passen dabei sogar den Dialekt an.
Adaptionen gibt’s aber nicht nur gegen andere. Seit Kurzem gedichtet und leider noch nicht vollständig eingeschlagen: ein neuer Text zur Melodie des «Hippie-Gspänstli», unter anderem mit der Zeile «bi jedem Goal wo du für SG schüssisch, gits do im Block sicher kei Halte meh». Auch einer der grössten Hits der letzten Jahre in der St.Galler Kurve hat sich bei einem Klassiker bedient. Den Europacup-Einzug im Jahr 2013 feierten die Fans wochenlang mit einer Adaption von «Rivers of Babylon» von Boney M.
…und eine grosse Portion Pathos
Was sich aber auch nicht von der Hand weisen lässt: Fangesänge triefen oft vor Pathos. Liebe, Leidenschaft und kämpfen, eines dieser Worte kommt fast garantiert in jedem Kurvenlied vor. Das ist die «Chraft, s’isch d’Liideschaft, wo s’Spiel chere cha». Oder die Fans «kämpfet und singet, und das well mer di liebet». Manchmal wird’s aber auch ganz banal und es geht nur darum, wer sich an der Theke behaupten kann – «mir suufet all a d’Wand!» – oder sich nicht von der Polizei beeindrucken lässt – «und wenn d’Bulle chömet, singe mer im Chaschtewagä».
Zum nachhören/mitsingen der erwähnte Gesang:
Egal welcher Art ein Lied ist, praktisch allen gemein ist, dass es um Superlative geht. Und natürlich sieht das in anderen Kurven nicht anders aus. Nur: In St.Gallen gibt’s einen Superlativ, den uns niemand wegnehmen kann: nämlich das Vereinsalter im Vergleich zu allen Clubs des Kontinents.
Aber auch da muss man etwas draufsetzen, darum: «Mir sind dä ältischt Club uf därä Welt, allez!»
Das Senf-Kollektiv besteht aus 15 fussballverrückten Frauen und Männern. Es gibt die St.Galler Fussballzeitschrift Senf («S’isch eigentli nume Fuessball») heraus und betreibt daneben auch einen Blog. Senf kommentiert auf saiten.ch das Geschehen auf und neben dem Fussballplatz.
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