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Tarantino meets Türkei
Spricht man über die Türkei, geht es derzeit immer um Politik. Dabei kommen auch Musikerinnen wie Gaye Su Akyol aus dem Land: Diese mischt unverkrampft psychedelischen Surfrock mit traditionellen, anatolischen Tönen – tanzbar! Um Politik ging es bei ihrem Konzert am Samstag im Palace dann aber doch.

Erdogan, überall Erdogan. Sein Name fällt am Samstagabend im Palace auf der Bühne zwar nie, aber während eines Covers eines türkischen Songs aus den 1960ern über Politik, sagt Gaye Su Akyol: «Diese Textstelle habe ich zur aktuellen Situation neu geschrieben.» Und bamm!, haut die Band wieder rein, und Gaye Su Akyol singt mit scharfer Betonung zwei Zeilen. Ich kann zwar kein Türkisch, das Wort «Diktator» oder «Diktatur» kann ich aber raushören. Das fällt einem zurzeit (leider) als erstes ein, wenn man Türkei hört, dabei geht es an diesem Abend ja eigentlich um Musik: «One evening of love, peace and rock n roll», hatte die 31-jährige Sängerin aus Istanbul zu Beginn versprochen.
Und dieses Versprechen hält sie: Die Musik – oder besser gesagt die Band – ist verdammt tight und groovy. Sorry für die sinnlosen Anglizismen, aber angesichts der fetten Ladung Rock n Roll, die die vier Musiker von Gaye Su Akyol raushauen, verliert Deutsch irgendwie seine Erklärungsmacht. Schlagzeug, Bass, zwei Gitarren und ab und zu ein Keyboard, das auf Hammond-Orgel macht, legen den Soundteppich für Gaye Su Akyols sphärische Stimme, mit der sie konsequent auf Türkisch singt – und für ihr Publikum zwischen den Songs manchmal auf Englisch Erklärungen gibt. Trotzdem, manchmal wünsche ich mir beim einen oder anderen Song einen Dolmetscher.
Diaspora im Publikum
Den brauchen die zahlreichen Vertreter der türkischen (oder: kurdischen?) Diaspora, die im Publikum stehen, nicht. Bei einigen Songs gibt’s Beifall auf Türkisch, ansonsten wird wild getanzt und gerne und viel mit dem Smartphone gefilmt. Sicher ein Verdienst des Palace-Teams an diesem Abend: eine spannende Musikerin ins Haus zu holen und damit auch ein neues Publikum anzuziehen, das sich mit der altbekannten Palace-Crowd mischt.
Auch die für mich immer mit Fettnäpfchen-Potential ausgestattete Frage «Bist du Türke, äääh Kurde?» macht Gaye Su Akyol zum Thema: «Ich bin Armenier, Kurde, Türke, so what?! Ich bin ein blauer Apfel, so what?!», sagt sie, bevor die Band wieder einsetzt.
Gaye Su Akyol und ihre vier Musiker kommen aus der Tradition des Anadolu Rock, der ab Mitte der 1960er Jahre Rock à la Led Zeppelin und Rolling Stones mit türkischer Volksmusik mischte. Im Palace werden denn auch mehrfach die 1960er zitiert – mit Covers von Hits, die ausserhalb der Türkei niemand kennt. Ergänzt um die Perspektive der 1990er und 2000er Jahre würde man sagen: Tarantino meets Desert-Rock meets Türkei. Näselnde Surfgitarren treffen auf Hammondorgel, wilde Bassläufe und anatolische Harmonien, dazu Gaye Su Akyols Stimme – mal düster, mal wütend, melancholisch, dramatisch…
Auf Tour durch Europa
Wie gesagt, das ist tanzbar, der bisweilen krasse Stilmix überfordert zwischendurch auch, aber die Leidenschaft von Gaye Su Aykol und ihrer Band ist immer spürbar. Wer das verpasst hat: Gaye Su Aykol tourt diesen Sommer durch Europa, mit Stopps in Lausanne und Biel. Anadolu Rock in der Romandie oder im bilinguen Biel-Bienne: Auf zu einem Sommer mit vielen Mash-Ups der Erfahrungen!
Bilder: Dani Fels