1 Kommentar
Obergärig ins Reformationsjahr
Die reformierte Landeskirche stösst mit einem eigens gebrauten Vadian-Bier auf das 500-Jahr-Jubiläum der Reformation an. In gut einer Woche fängt das Jubeljahr an; am Donnerstag wurde in der Kirche St.Mangen informiert.

Hell, obergärig und mehrheitsfähig: So soll das Jubiläumsjahr 500 Jahre Reformation in Stadt und Kanton St.Gallen ausfallen – jedenfalls wenn es dem eigens dafür gebrauten Bier die Stange halten will. Schützengarten hat zum Anlass ein Vadian Pale Ale gebraut, fünf Jahre nach dem «katholischen» Gallus-Bräu. Es ist im Stil der Braukunst des 16. Jahrhunderts gebraut, wie Schützengarten-CEO Reto Preisig an der Medienorientierung in St.Mangen erklärte, und soll breite Publikumsgeschmäcker zufriedenstellen.
Huldrych Zwingli, der Freak
Anstich ist am 5. November, dem Auftaktsonntag zum Jubiläumsjahr. Für die Medien gab es jetzt bereits einen Vorgeschmack. Fazit: Vadian hat Charakter und passt zur Jubiläumswurst, welche die Metzgerei Bechinger ihrerseits nach einem alten Rezept auf den Markt bringt.
Serviert wurde beides von der fahrbaren «Reformierbar», einem umfunktionierten Piaggio-Dreirädler. Dieser spielt eine Hauptrolle auch im heiteren Videofilm zum Jubiläum: Schauspieler Matthias Flückiger verkörpert darin sehr typähnlich einen freakigen Huldrych Zwingli, der sich mit Schlapphut und Piaggio aus dem Toggenburg auf den Weg in die Stadt St.Gallen macht, allerhand Abenteuer mit seinem Vehikel und mit der neumödischen Zeit erlebt und am Schluss in den Kirchenbänken der Stadtkirche St.Laurenzen mit Pfarrerin Kathrin Bolt und einem Glas Vadian Pale Ale auf das Gelingen des Reformationsjahrs anstösst.
Das Jubiläumsjahr steht unter einem wortspielerisch wandelbaren Motto mit dem sechs Schlüsselwörtern «quer – frei – neu» und «glauben – denken – handeln». Rund 150 Veranstaltungen listet der dicke Reformationsführer auf, weitere sollen hinzukommen. Sie sind sortiert nach den Motto-Stichworten, reichen vom gemeinsamen Tafeln bis zur Predigt und sollen das Motto und die reformierte Kirche «erlebbar machen», wie Daniel Schmid Holz, der Geschäftsführer des Reformationsjubiläums, und Michaela Silvestri, die Geschäftsführerin von Reformationsstadt St.Gallen, sagten.
Auftakt: Sonntag, 5. November, 10-17 Uhr, diverse Orte
Das gesamte Jubiläumsprogramm:
ref500-sg.ch
Mit Festgottesdiensten in den beiden Stadtkirchen St.Laurenzen und St.Mangen geht es am 5. November um 10 Uhr los. Mit dabei sind neben den Spitzen der reformierten Kirche auch Bischof Markus Büchel und die St.Galler Ständeräte Paul Rechsteiner und Karin Keller-Sutter. Nach dem Predigen folgt das Festen vor der Tonhalle, es wird geslamt und gegospelt, es gibt Führungen durch die drei Reformationsaussstellungen im Historischen und Völkerkundemuseum, im Rathaus und im Stadthaus, Konzerte, Referate und um 17 Uhr einen Jazz-Abschluss.
Einige Höhepunkte des Jubiläumsjahrs stellte Daniel Schmid Holz vor: das Theaterprojekt «Freiheit», die samstäglichen «Klanghalte» in St.Katharinen mit Luther-Chorälen, Uraufführungen von Peter Roth, eine Pop-Kantate, den Zwinglimarkt in Rorschach oder Forschungen zum Einfluss der Hugenotten auf das Stadtleben in Rapperswil.

Unübersehbar: Die Vadian-Statue von 1904 an der Marktgasse, im Hintergrund die älteste Stadtkirche St.Mangen, wo 1523 erstmals reformiert gepredigt wurde.
«Welches Jubiläum darf es sein?» fragt die Ausstellung im Stadthaus. Für Stadtpräsident Thomas Scheitlin ist ein zentrales Ziel des Festjahrs, die reformierte Stadt im Heute erlebbar zu machen. St.Gallen werde von aussen oft als katholische Stadt wahrgenommen; wer tiefer blicke, finde aber die Prägungen der Reformation auf Schritt und Tritt und sehr grundsätzlich: Selbstbewusstsein, gesellschaftliche Offenheit und wirtschaftliche Blüte verdankten sich der Reformation.
Ökumenisch statt fundamentalistisch
Nur Grund zum Feiern also? In der Reformationsstadt St.Gallen nennen sich gerade noch etwa 20 Prozent der Bevölkerung evangelisch, neben rund 35 Prozent Katholiken und über 40 Prozent «Übrigen». Im Stadtrat war Stadtpräsident Thomas Scheitlin zuletzt der «Quotenreformierte» neben vier katholischen Mitgliedern, wie er amüsiert sagt. Und den Landeskirchen laufen die Gläubigen davon – beziehungsweise: Viele seien zwar noch Mitglied, aber abwesend im Gemeindeleben, sagt Kirchenratspräsident Martin Schmidt; «wir wissen nicht recht, was sie von uns erwarten».
Das Buch
Rudolf Gamper: Joachim Vadian, Humanist, Arzt, Reformator, Politiker, Chronos-Verlag 2017, Fr. 48.-. Buchvernissage: Samstag, 28. Oktober, 10 Uhr, St.Laurenzen
Die Ausstellungen
«Vadian und die Heiligen», Historisches und Völkerkundemuseum HVM St.Gallen
«Der evangelische Kirchenbau in der Stadt St.Gallen», Rathaus
«Reformation findet Stadt, Stadthauskeller
Gemeinsame Vernissage: Samstag, 28. Oktober, 14 Uhr, HVM
Zulauf haben dafür die fundamentalistischen Freikirchen – für Schmidt aber kein Grund, an der liberalen Linie der Landeskirchen zu rütteln. Entscheidend bleibe die ökumenische und politische Offenheit der reformierten Landeskirche: Die 500 Jahre seit Luthers Thesenanschlag sollten nicht zu einem konfessionellen, sondern zu einem gesellschaftlichen Jubiläumsjahr Anlass bieten.
Weniger die Säkularisierung als die alle Lebensbereiche umfassende Individualisierung sieht Schmidt als einen der Hauptgründe für den Bedeutungsverlust der Kirchen. Er erhofft sich vom Jubiläumsjahr daher nicht nur historische Erkenntnisse, sondern Impulse und Diskussionen zur Frage, was Reformiertsein heute und in Zukunft bedeuten könnte. Das Jubiläumsprogramm biete dazu viele Anregungen – als Marketingaktion zur Acquirierung neuer Kirchgänger will Schmidt es aber nicht verstanden wissen. Vielmehr sollen Begegnungen und Feiern im Vordergrund stehen. Ob neben dem Bier auch noch anderes ins Gären kommt, wird man sehen.
Eine sehr ansprechende Einladung zur Eröffnung des Reformationsjubiläums in der St.Galler Kantonalkirche. Sie würdigt die Bemühungen der Kirchen und wirft feinfühlig die eigentlichen Fragen auf. Bier gären ist eine originelle Idee. Was aber gärt im Leib Christ, der Kirche? Säkularisierung und Individualisierung müssten wohl als Durchgang und Teil der kommenden Reformation verstanden werden, denn auch im weltlichen Leben gärt der Geist und im Individuum sucht er seine lange verheissene Form, genannt «allgemeines Priestertum» – Er «hat uns zu Königen und Priestern gemacht vor Gott», Johannesoffenbarung 1,6.