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Ein Requiem für unsere Zeit?
Am Freitagabend erlebte das «Requiem X» des St. Galler Komponisten Christoph Schnell in der Kirche Linsebühl seine Uraufführung. Das Gedenkkonzert für die Opfer des Luxor-Attentats hinterliess zwiespältige Eindrücke. von Daniel Fuchs
Das Totengedenken, den Lebenden die Sterblichkeit bewusst zu machen, ist ein legitimes, wichtiges Anliegen. So gesehen, hat die christliche Form des Requiems eine lange Tradition. Die einst im kirchlichen Gebrauch fest gelegte Form wurde durch Komponisten im Lauf der Musikgeschichte verändert, teilweise oder ganz verweltlicht.
Christoph Schnells Requiem X, komponiert im Gedenken an die Opfer des Attentats im ägyptischen Luxor 1997, strukturiert sich aus zehn Sätzen. Fünf instrumental gehaltene Teile fügen sich zu fünf Vokalsätzen. Die Komposition basiert auf dem lateinischen Requiem-Text. Das mag grundsätzlich Fragen aufwerfen, zumal dieser in Schnells Vorlage von latinisierten Texterweiterungen durchsetzt ist. Sätze wie «Das Lamm Gottes aus Gott des Gottes» wirkten erklärungsbedürftig. Verantwortet hat diese Erweiterungen Koloman Pipof.
Gescheiterte Makrodramaturgie
Im Vorfeld der Aufführung war zu lesen, dass Schnell die Arbeit an der Makrodramaturgie für das Schwierigste hält. Auf den Punkt gebracht, scheitert das Werk vornehmlich genau daran. Es ist in seiner Dauer von gut ein dreiviertel Stunden viel zu lang. Als hätten die Veranstalter dies geahnt, wurde eine Pause eingefügt. Dem geschlossenen Verlauf des Requiems stand das jedoch entgegen. Die Spannung fiel zusammen und einige Zuhörer benutzten diesen Moment, um die Kirche zu verlassen.
Hört man genauer hin, hat die Gleichförmigkeit des Klangs des gesamten Werkes mit beschränkten kompositorischen Mitteln zu tun. Das Streichorchester (mit verdoppeltem Kontrabass) hat dauerhaft Arco und Pizzicato zu spielen. Sich auch an anderen Techniken zu orientieren, hätte dem Ganzen gut getan. In allen Sätzen wird im Instrumentalsatz Polyphonie angestrebt. Diese bekommt aber nirgends ein Gesicht, bleibt beliebig und leidet unter dem übermässigen Gebrauch der Pauken.
Agnus Dei mit Bolero-Rhythmen
Soll das Requiem X, den Worten des Komponisten gemäss, «ein riesiges Stück Filmmusik ohne Film» sein, ist die Frage, wie spannend dieser Film wäre. Spätestens nach fünf Sätzen haben sich Mittel und Effekte erschöpft und wird der weitere Verlauf voraussehbar, träge und schleppend.
Gemäss Schnells Auskünften setzt er einen viertelstündigen Requiem-Satz in einem halben Tag auf. Das ganze Requiem X wäre so in gut vier Tagen komponiert worden. Dabei blieb offensichtlich die inhaltliche Vertiefung auf der Strecke. So ist im Charakter weder der 4. Satz Vox angelorum ein Engelsgesang, weder der 6. Satz Elegia eine berührende Trauermusik noch Satz 9 Dansa sagrada wirklich ein Tanz. Im nicht endenden Sanctus ertönt das «Hosanna in exelsis» im gleichförmigen Lamento-Ton. Und ein Agnus Dei mit Bolero-Rhythmen zu verbinden, ist mit Verlaub ein Missgriff.
Engagierte Interpreten
Robert Bokor, Dirigent und Mitinitiant des aufwendigen Projektes, setzt sich seit Jahren für das Werk Christoph Schnells ein. In diesem Sinn lag die Gesamtleitung in guten Händen. Sein Arpeggione Kammerorchester war hörbar auf die Aufgabe hin gerüstet. Der sechzehnstimmige Sonoro Choir aus London bewältigte die vokalen Partien makellos, mit englischer Klangkultur. Katsunobu Hiraki an den japanischen Taiko Drums unterstrich den zeremoniellen Charakter der Komposition.
Ausführende und der anwesende Komponist nahmen den freundlichen Applaus des nicht sehr zahlreichen Publikums entgegen.