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Absolut Blanche
Als letzte Premiere der Saison spielt das Theater St.Gallen «Endstation Sehnsucht». In der Regie von Schauspieldirektor Jonas Knecht kommt Tennessee Williams‘ Südstaaten-Drama mit siebzigjähriger Verspätung packend in St.Gallen an.

Anja Tobler spielt Blanche DuBois. (Bilder: Iko Freese)
Kaum jemand, der sich nicht erinnert, Elian Kazans legendäre Verfilmung des gleichnamigen Theaterstücks einmal gesehen zu haben. Eine umwerfende Vivien Leigh in der Rolle von Blanche DuBois und der junge Marlon Brando als Stanley Kowalski setzten hohe Masstäbe. Mit vier Oscars honoriert, läutete der Film 1951 eine neue Ära ein und begründete den Weltruhm des Dramatikers Tennesse Williams wesentlich mit. Und dann gab es ja noch den Pulitzer-Preis für das Drama! Ein echter Theaterklassiker des 20. Jahrhunderts, der nun zum Saisonabschluss auch in St. Gallen zu sehen ist.
Innen im Aussen
Es ist eine tolle Szenerie, die Michael Köpke entworfen hat und in der Regisseur Jonas Knecht sein Setting der handelnden Personen inszenieren kann. Der auf einer Drehbühne angebrachte Wohnwagen dreht sich und dreht sich. Halbseitig offen, verschafft das Einblicke in Wohnraum, Bad und Schlafzimmer, um wieder zur Frontseite mit Fenstern und Tür zu wechseln. Eine raffinierte Lösung, die permanent den Wechsel von Innen und Aussen nachvollzieht.
In diesem Drama von Lust und Leidenschaft, Verlangen und Abwehr, ist vor allem Anja Tobler hoch zu loben, die die Rolle der Blanche in allen Facetten ausspielt. Von Anfang an eine Verlorene, versponnen in Illusionen, der Vergangenheit nachträumend, gelingt es ihr, das Publikum zu rühren. Dann ist es vorbei mit dem Realismus und man lässt sich in den Zauber hineinziehen, den Blanche versprüht. Man vergibt ihr die Lügen, vergisst das Drama, in dem viel getrunken und geraucht wird, und leidet mit.
Wann ist ein Mann ein Mann?
Ganz anders agiert Frederik Rauscher als Stanley. Er ist der Mann. Direkt, polternd, zynisch und bestimmt. Er ist die treibende Kraft, die Blanche weg haben will und dafür sorgt, dass sie endlich in die Klinik kommt. Als Mann von Blanches Schwester Stella (Anna Blumer), die er ebenfalls zu unterdrücken versteht, nimmt er sich das, was ihm seiner Meinung zusteht, gnadenlos. Bei Rauscher wirkt das in Momenten etwas aufgesetzt, bei Anna Blumer hapert es manchmal an der Textverständlichkeit. Kleine Mäkel!
Oliver Losehand bringt den zögerlichen Mitch faszinierend auf die Bühne, und Jessica Cuna überzeugt als Nachbarin Eunice in ihrer Festigkeit.
Multiperspektivisch
Die Idee, mit Live-Video-Übertragung zu arbeiten, mag aus der Inszenierung von Ingmar Bergmans Szenen einer Ehe stammen, die am gleichen Haus kürzlich zu sehen war. Nur ist das Konzept (Clemens Walter) hier verfeinert und verlangt den Schauspielern Enormes ab. Fast pausenlos werden sie durch Kameras verfolgt. Auf einer grossen Projektionsfläche über der Bühne werden die Aufnahmen, live-gemischt (Reto Müller), übertragen.
Nahaufnahmen, Seitenaufnahmen, Innenszenen – der Blick des Zuschauers wird multiperspektivisch aufgebrochen. Und doch bleibt am Ende das Ganze kompakt und absolut stimmig, schwebend zwischen Film und Theater.
Nächste Vorstellungen: 12. und 14. Juni, Wiederaufnahme im November
Live gespielt und leitmotivisch gesetzt, unterlegt Andi Peter das Drama mit feinen Tönen: kleine Riffs, bluesige Motive, immer in der richtigen Dosierung. Was die Musik leistet, steht sinnbildlich für die gesamte Inszenierung von Jonas Knecht: Aus wenig wird viel! Und am Ende des Dramas den «Jungen Mann» im Kittel des Psychiaters auftreten zu lassen, ist eine genialer Einfall.
Gute zwei Stunden Verzauberung sind in dieser Endstation Sehnsucht garantiert.
Warum, lieber Daniel Fuchs, heisst es im Text „Rauscher“ und „Anna Blumer“? Aus diesem Grund: 14.Juni!