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Warme Klangmassen im grossen Raum
Mit einem Festkonzert unter dem Motto «Musik für Kathedralen» wurden die St.Galler Festspiele am Donnerstagabend zum Ausklang gebracht. Modestas Pitrenas dirigierte in der Kathedrale Anton Bruckners «Sinfonie Nr.7 E-Dur». Eine eindrückliche Premiere. von Daniel Fuchs
Vor dem Chorgitter der Kathedrale, wo heute an normalen Sonntagen die Messe erteilt wird, ist der Altar weggeräumt. An dieser Stelle stehen auf einem erhöhten Podest zentriert Pauken. Hinten, dem Gitter entlang, beidseitig, sitzen Blechbläser aufgereit. Davor Holzbläser. Davor der ganze Streicherapparat. Bereit für eine Premiere unter der Kuppel des Kirchenbaus.
Denn erstmals werden rein sinfonische Klänge solchen Ausmasses den sakralen Raum erfüllen. Musik für Kathedralen, ja. Mit Anton Bruckners monumentaler Sinfonie Nr.7 E-Dur wohl gar eine Kathedrale in der Kathedrale, vermutlich.
Schöne Langsamkeit
Vor 50 Jahren wäre ein solches Szenario unmöglich gewesen. Ich mag mich noch gut erinnern, was es für meinen Grossvater, Domkapellmeister Johannes Fuchs, Ende 60er-, anfangs 70er-Jahre, für einen Kniefall vor Bischof und der Kurie bedeutete, um diese für Domkonzerte ein- und umzustimmen. Und dabei ging es um Aufführungen kirchenmusikalischer Werke wie Anton Bruckners Grosser Messe in f-moll oder dessen Te Deum. Heute ist das anders und das ist auch gut so. Auch im sakralen Raum kann weltliche Musik aufgeführt und es darf getanzt werden.
Alles beginnt mit einem Tremolo-Teppich. Und seien wir ehrlich, noch nie haben wir das Eröffnungsthema der E-Dur-Sinfonie live so gehört. Ein über 22 Takte hin geführter Bogen, der aus unendlicher Sphäre zu schweben begann. Modestas Pitrenas nahm das Grundtempo des ersten Satzes mehr Moderato denn Allegro und das erwies sich als Schlüssel. So konnte sich denn die über dem Tonika-Orgelpunkt aufbauende Coda des ersten Satzes in der ganzen Strahlkraft aufbauen.
In der 7. Sinfonie dreht sich alles um den zweiten Satz. Er ist dank seiner Länge und seinem grossen Radius an Ausdruckskraft Mittelpunkt des Werkes. Das Sinfonieorchester St.Gallen blieb in keinem Register der Feierlichkeit und der Weltabgewandtheit dieses expansiven Adagios etwas schuldig. Gehen die durch chromatische Harmoniefolgen erzeugten Verschleierungen in den Raum oder kommen sie aus diesem? Wunderbare Mystik.
Schwierige Akustik
Dass es einiges über die Akustik des Kathedralenraums zu sagen gibt, zeigte sich vor allem im Scherzo, aber auch im Finale der Sinfonie. Der grosse Echoraum der Kathedrale führte zu einer Verwischung der rhythmischen Akzentuierung der schnellen Bewegungen der Sätze. Um so mehr ist das übersichtliche Dirigat von Modestas Pitrenas anzuloben. Seine Einstellung auf die spezifische Akustik funktionierte in der Ausdehnung von Momenten, ohne die Gesamtsicht zu verlieren. Keine leichte Aufgabe, professionell gelöst.
Ein verdienter Applaus geht an ein hochklassig disponiertes Orchester und seinen Chefdirigenten. Und leise keimt die Hoffnung, dass im nächsten Jahr Musik für Kathedralen wieder auf das Festspielprogramm kommt. Eine weitere Bruckner-Sinfonie? Oder ein Werk aus dem 20. Jahrhundert?