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Dem Wasser verfallen
«Smith & Wesson» heisst der Titel. Doch es ist keine Räuberpistole, sondern ein Kammerspiel um Leben und Tod an einem legendären Schauplatz: den Niagarafällen. Die Kellerbühne St.Gallen spielt das Stück im März, am 11. ist Premiere.

Eine «alte Liebe» von ihm seien das Stück und sein Autor, der italienische Schriftsteller Alessandro Baricco, sagt Matthias Peter. In einer Buchhandlung in Lugano hatte er vor einigen Jahren das italienische Original entdeckt und dann «auf die deutsche Übersetzung gewartet». Jetzt kommt diese «Liebe», kurz nach der Schweizer Erstaufführung in Bern, in St.Gallen auf die Bühne, als Eigenproduktion in der Inszenierung des Kellerbühnen-Leiters.
Baricco ist mit der Novelle Seide, dem erfolgreich verfilmten Theaterstück Novecento – die Legende vom Ozeanpianisten und Essays bekannt geworden. Mit Smith & Wesson kehrte er nach längerer Pause zum Theater zurück – und gleich mit einem Stück, das «flutscht», wie Matthias Peter sagt und wie ein Probeneindruck bestätigte: Fliessende Dialoge, Witz und Ernst, menschenfreundlich gezeichnete Figuren und eine überraschungsreiche Dramaturgie zeichnen es aus.
Eigenbrötler mit Vaterkomplex
Dabei ist die Szenerie bizarr: Jerry Wesson lebt in einer Hütte am Ufer der Niagarafälle, er wird «Der Fischer» genannt, weil er die Selbstmörder aus dem Fluss fischt, die sich den Wasserfall herabgestürzt haben. Eines Tages taucht Tom Smith auf, nach eigenen Angaben Meteorologe mit einem Hang zu grotesken Wetterstatistiken – und, wie sich nach und nach herausstellt, mit krimineller Vergangenheit.
Zu den zwei Eigenbrötlern gesellt sich Rachel Green, Jungjournalistin auf der Suche nach der Story, die ihr endlich aus dem Redaktionssumpf helfen soll. Die vierte im Bunde, immer zitiert, aber erst spät präsent, ist Mrs. Higgins, Betreiberin des «Great Falls Hotels».
Rachels Coup: Sie will sich selbst zur grössten Geschichte machen, indem sie sich mit Hilfe der beiden Alten in einem Fass die Fälle herunterstürzt. Das historische Vorbild für diese Verrücktheit gibt es: Am 24. Oktober 1901, an ihrem 63. Geburtstag hatte die so umtriebige wie erfolglose Lehrerin Annie Taylor den sensationellen Sturz durch die 50 Meter hohen Fälle als erster Mensch der Welt praktisch unverletzt überlebt.
Ihr Ruhm dauerte allerdings nur kurz, Taylors verzweifelte Versuche, an den schnell verpufften «Hype» anzuknüpfen, endeten damit, dass sie sich und ihr Fass sogar in Schaufenstern ausstellte. Für Regisseur Peter ist das eines der Themen, die das Stück aufwirft und kritisch beleuchtet: die Sucht nach medialer Aufmerksamkeit, gepaart mit Selbstüberschätzung; ein «Eventdenken», dem sich auch die Eigenbrötler Smith & Wesson nicht entziehen können. Ein anderes zentrales Thema sind die Vaterkomplexe, in denen alle Figuren auf je ihre Weise gefangen sind.
Das Stück erzählt chronologisch, aber vor allem musikalisch: Alle Szenen tragen eine Tempobezeichnung, «Allegro» wechselt sich ab mit «Andante» oder einem «Impromptu»; Autor Baricco hat auch Musik studiert. Den Fluss der Erzählung bricht die fünfte Szene, eine Art «Stück im Stück» aus 20 sich jagenden Kurzszenen, ein dramaturgischer Wasserfall, den später ein Monolog der Mrs. Higgins kontrapunktiert.
Smith & Wesson würde auch als Hörspiel funktionieren, ist Alexandre Pelichet, der den Wesson spielt, überzeugt. Das sei stets ein gutes Zeichen dafür, dass die Dialoge Qualität haben. Trotzdem soll es auch szenisch einige «Action» geben, verspricht Matthias Peter – inklusive Wasserfall.
Ein Flair für literarisches Theater
Mit seiner jüngsten Schauspiel-Inszenierung knüpft Matthias Peter an die Sprechtheater-«Schiene» an, die er seit jeher in der Kellerbühne neben den Comedy- und sonstigen Kleinkunst-Programmen pflegt. In jüngerer Zeit waren dies Fontamara von Ignazio Silone, Bartleby von Hermann Melville und Dostojewskijs Traum eines lächerlichen Menschen. Das Ensemble ist dem St.Galler Publikum wohlbekannt: Alexandre Pelichet und Hans Rudolf Spühler spielen das Einsiedler-Duo, Boglarka Horvath die Rachel, Simone Stahlecker Mrs. Higgins. Die Musik kommt wiederum von Saxofonist Stefan Suntinger.
Smith & Wesson, 11. März (Premiere) bis 22. März, Kellerbühne St.Gallen
Dank den (zwar knappen) Subventionen von Stadt und Kanton und dank privater Stiftungen sei es möglich, branchenkonforme Löhne zu zahlen und auch in Sachen Probenzeit mit dem «grossen» Theater St.Gallen mitzuhalten, sagt der Kellerbühnenleiter und bestätigen seine Mitspieler. Es sei ein «sehr schönes Arbeiten», sagt Boglarka Horvath – einerseits mit dem vertrauten Team, andrerseits mit einem Stück, das zwischen Melancholie und Witz auf ganz verschiedenen Ebenen zum Publikum spricht.