, 9. Juni 2021
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«Essen ist politisch»

2 x Ja – für Gesundheit, Naturvielfalt und Klima: Für die Trinkwasser- und die Pestizid-Initiative argumentierten, wenige Tage vor der Abstimmung vom 13. Juni, Biobäuerinnen und andere Fachleute an einem Podium in Trogen im Rahmen der «Klimaspuren»-Wanderung.

Einsames Ja-Plakat auf einem Hof in der Nähe von Trogen. (Bild: Su.)

Es geht. Es geht ohne synthetische Pestizide und mit schonender Bodenbewirtschaftung. «Bio hat sich bewährt»: Das betonen am Dienstag in der Kirche Trogen die Biowinzerin Fabia Knechtle Glogger und die Solawi-Mitgründerin Christine Schwaller.

Schwallers Hof im Seebeli in Wienacht-Tobel vermarktet seine Produkte selber und organisiert sich neu als Netzwerk Solidarischer Landwirtschaft. Knechtle Glogger produziert in Thal mit pilzresistenten Rebsorten Wein und – was für sie mindestens so wichtig wie das Endprodukt sei – sorgt zugleich in ihren Reblagen für Biodiversität.

Biologische Landwirtschaft ohne synthetische Pestizide funktioniert – entsprechend irreführend sei die Angstkampagne der Initiativgegner:innen, sagen die Praktikerinnen und bekräftigt Greenpeace-Campaignerin und Gesprächsleiterin Alexandra Gavilano. Die Initiativen könnten sozialverträglich umgesetzt werden; dank Übergangsfristen von acht beziehungsweise zehn Jahren sei sogar im auf lange Wachstumsperioden angelegten Rebbau eine Umstellung möglich – zudem würden die Bäuerinnen und Bauern bei der Transformation ihrer Methoden subventioniert.

Konventionelle Landwirtschaft hingegen fahre unsere Natur und das Klima an die Wand, warnt in Trogen Philipp Sicher vom Schweizerischen Fischereiverband. Die Fischbestände und die Artenvielfalt hätten dramatisch abgenommen, den Fischen fehle das Futter – eine Folge der Ausmerzung von Kleinlebewesen und Insekten durch die Intensivlandwirtschaft. «Wir zerstören das unterste Glied der natürlichen Nahrungskette», und entzögen damit den anderen Arten ihre Lebensgrundlage.

Die Schuld gibt der Fischer in erster Linie der von Agrochemie und Bauernverband geprägten nationalen Politik. Jüngstes unrühmliches Beispiel sei die Sabotierung der Agrarpolitik 2022 (AP 22+) durch die Agrarlobby im Parlament.

Pestizide werden durchgewunken

Mit einem gegenüber der EU um 56 Prozent höheren Einsatz von Pestiziden sei die Schweiz entgegen der landläufigen Meinung keineswegs ein Vorbild, sondern ein Schreckbild, sagt der Arzt Jérôme Tschudi – umso mehr, als diese hohe Menge von nicht einmal der Hälfte der Landwirtschaftsbetriebe eingesetzt werde. Denn von den heute rund 50’000 Bauernbetrieben im Land produziere bereits mehr als die Hälfte biologisch oder nach IP-Normen. Pestizide verursachten nachgewiesenermassen auch beim Menschen körperliche Schäden und Missbildungen – zu schweigen von ihrer noch unbekannten Langzeitwirkung.

Kritik üben Tschudi und Moderatorin Gavilano zudem am heute geltenden Zulassungsverfahren für Pestizide. Es basiere auf veralteten Dosierungs-Vorstellungen, stütze sich mehrheitlich auf EU-Vorgaben ab und halte weiterführende Analysen auf einem Minimum – ausser die Umweltorganisationen intervenieren via Verbandsbeschwerderecht, so jüngst beim Verbot des Pflanzenschutzmittels Chlorothalonyl, wo der Hersteller Syngenta in die Knie gezwungen wurde.

Es gehe mit den beiden Initiativen darum, die heutige «gedopte» Landwirtschaft in eine neue, nachhaltige Richtung zu verändern, sagt der Ausserrhoder SP-Präsident Jens Weber. Dazu brauche es den Dialog aller Beteiligten und klare Anreize für jene, die naturnah produzierten, wie dies die Initiativen vorsehen.

Essen ist politisch – der Appell an die Konsument:innen

Bio funktioniert – allerdings mit prekären Löhnen. Ein Ponyhof wäre für sie rentabler als ein Gemüsebetrieb, denn: «Man zahlt gern für Agrotourismus, aber nicht gern für Produkte», kritisiert Schwaller. Dank der Solidarischen Landwirtschaft könne sich ihr Betrieb zwar den Zwängen der Agrarpolitik und dem Druck der Grossverteiler ein Stück weit entziehen und das Risiko auf mehr Schultern tragen – aber gegenüber den «Grossen» bleibe der Existenzkampf dennoch hart und das Einkommen tief.

Die Klimawanderung

Von Anfang Juni bis zum zum 12. Juli führen die «Klimaspuren» von Ilanz nach Genf, mit insgesamt 50 Ortsterminen. Die Expedition habe zum Ziel, die Spuren zu erkennen, die die Klimakatastrophe hierzulande hinterlasse, sagt Köbi Gantenbein, Chefredaktor des Magazins Hochparterre, am Diskussionsabend in Trogen. Gesucht werde aber nicht nur nach dem «Elend», sondern auch nach Orten der Zuversicht. Heute machen die «Klimaspuren» Halt in St.Gallen.

klimaspuren.ch

«Das grosse Problem ist der Preisdruck» – und dies auch in der konventionellen Landwirtschaft, sagt Knechtle Glogger. Schuld sei zum einen die Politik, die den Konsument:innen glauben mache, in der Schweiz werde nachhaltig produziert, und dabei verschweige, dass das Artensterben auch mehr als zwanzig Jahre nach der Einführung von Öko-Qualitätssstandards ungebremst weitergehe. Und zum andern stünden zuwenige Bäuerinnen und Bauern öffentlich hin und machten klar, dass ihre Produkte und ihr Einsatz für die Kulturlandschaft einen höheren, fairen Preis verdienten. «Viele Bauern sind in der Opferrolle», kritisiert Knechtle Glogger.

Schwallers Appell geht am Ende auch an uns alle: «Essen ist politisch.» Wir hätten es in der Hand, Produkte aus regenerativer Landwirtschaft zu kaufen und uns nicht von den «absurden Qualitätsstandards» der Grossverteiler verführen zu lassen: genormte, kratzerfreie Kartoffeln, klinisch reine Rüebli etc., all das müsse nicht sein. «Sie haben mehr Macht, als Sie glauben», beschwört auch Biowinzerin Knechtle Glogger die Konsumentinnen und Konsumenten.

Nötig sei ein doppeltes Ja an der Urne – und ein Ja zu den Produkten aus biologischer Landwirtschaft.

 

 

 

 

 

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