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Der ökonomische Fussabdruck
Zufriedener und nachhaltiger wirtschaften: Das ist das Ziel der Gemeinwohl-Ökonomie. Diesen Samstag findet ein Workshop des Ostschweizer Ablegers der Bewegung statt.

Christian Felber ist 41jährig und bekommt zur Zeit rund 100 Einladungen pro Monat für Vorträge. Felber ist gefragt, besonders seit seinem Buch «Geld. Die neuen Spielregeln» (Wien 2014). Was der Ökonom, Aktivist und Tänzer aus Österreich vertritt, nennt sich Gemeinwohl-Ökonomie und könnte die Wirtschaft und Gesellschaft einschneidend verändern.
Diese Hoffnung haben auch Gaby Belz und Felix Oesch. Zusammen mit rund zehn Gleichgesinnten bilden sie den Ostschweizer Ableger der Bewegung: die Gemeinwohl-Ökonomie St.Gallen. Oesch fasziniert nicht zuletzt, dass hier keine Partei, keine Firma, keine Genossenschaft am Werk ist, sondern eine Bewegung, die ihre Strukturen basisdemokratisch erst noch finden muss. Vor allem aber stehen Oesch wie Gaby Belz, beide als Unternehmensberater selbständig tätig, hinter dem Anliegen: eine gerechte, lebensfreundliche, solidarische und ökologische Gesellschaft.
Was diesem Ziel im Weg steht? Oesch nennt als einen zentralen Punkt die Konsumgesellschaft. Nicht nur, weil sie Ressourcen verschwende, sondern weit grundsätzlicher: «Konsum gefährdet die Demokratie.» Wer glaube, in einer Art Schlaraffenland zu leben, verliere das Bewusstsein für die Mitverantwortung an der Gesellschaft – und für die Tatsache, dass es den einen nur gut gehen kann auf Kosten der anderen.
Beim individuellen Verhalten bleibt die Gemeinwohl-Bewegung aber nicht stehen. Sie zielt direkt auf die Unternehmen. Für diese ist die Matrix entwickelt worden, ein Raster, der es den Unternehmen erlaubt, ihre Gemeinwohl-Verträglichkeit zu analysieren. Die Matrix ist unterteilt in fünf Grundwerte: Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit sowie demokratische Mitbestimmung und Toleranz. Diese Werte werden überprüft an wiederum fünf Bereichen: Lieferanten, Geldgeber, Mitarbeiter und Eigentümer, Kunden, Produkte und Dienstleistungen sowie dem gesellschaftlichen Umfeld.
In der Ostschweiz sind, anders als in Deutschland, wo sogar die grosse Sparda-Bank München mitmacht, noch keine grösseren Unternehmen «durchleuchtet» worden. Belz und Oesch sind aber mit dem guten Beispiel vorangegangen und haben ihre eigenen Kleinfirmen «auditiert». Ein spannender Weg, sagen beide – und aufwendig, wenn man vom Strommix über Fahrten, Essen oder den Grad an Selbstausbeutung bis zur Preisgestaltung jeden Posten gemeinwohlökonomisch unter die Lupe nimmt. Und sich fragen muss: Wo kann ich etwas ändern? «Vieles hat mit Haltungen zu tun. Beispiel Mitbestimmung in KMUs: Ist sie erwünscht? Ist sie sinnvoll? Das sind grosse Fragen», sagt Gaby Belz. Und muss schon mal die Kritik hören, das seien «kommunistische» Anliegen.
Revoluzzer sind die Gemeinwohl-Ökonomen aber keineswegs – vielmehr ernsthaft um die Zukunft besorgte Zeitgenossen. «Mit Wachstum und Gewinnmaximierung kommen wir nicht mehr weiter angesichts der schwindenden Ressourcen», sagt Gaby Belz.
Wenige Ressourcen hat bis jetzt allerdings auch die Bewegung selber; gerade einmal ein paar Dutzend Aktivistinnen und Aktivisten in der Schweiz. Dem soll ein erster Workshop abhelfen, den die St.Galler Gruppe morgen Samstag durchführt, in Zusammenarbeit mit dem Amt für Gesellschaftsfragen der Stadt St.Gallen.
Ich und das Gemeinwohl: Samstag, 17. Januar, 9.30 bis 17 Uhr, Katharinensaal St.Gallen (mit Anmeldung).