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Für alle!
Der März-Einspruch zum Internationalen Frauentag: «Zeitgenössischer Feminismus sollte sich ganz grundsätzlich für eine bessere Welt einsetzen und nicht auf weibliche Anliegen beschränkt werden», fordert Gastautor Christof Moser.

Ich frage mich, warum es der Feminismus heutzutage so schwer hat. Hier zwei Erklärungen:
Eines der Probleme ist unsere Hyperindividualität, dieses allgegenwärtige «Ich interessiere mich nur für mich». Das Gesamtgefüge wird vergessen. Mir scheint, es liegt daran, dass wir als postideologische Generation Mühe haben, uns zu einer Ideologie zu bekennen. Daraus resultiert eine gewisse Sprachlosigkeit. Beim Feminismus ist diese besonders folgenreich, da sich eine gewisse Verhärtung in der politischen Diskussion einstellt: Wer sich zu Wort meldet, muss damit rechnen, platt gemacht zu werden. Viele lassen darum die Finger davon, egal ob Mann oder Frau.
Das zweite Problem liegt im eigenen Lager: Jung wettert gegen Alt, Frauen gegen Frauen und nicht etwa Frauen gegen Männer und umgekehrt. Viele haben Angst, eigene Positionen einzunehmen, diese zu hinterfragen und weiterzuentwickeln.
Doch machen wir uns nichts vor: Derzeit ist ein gigantischer Backlash im Gang. In Europa haben wir keine gleichberechtigte Gesellschaft hinbekommen, und rundherum ist es noch viel dramatischer: Fundamentalisten unterdrücken Frauen im Namen der Religion, in der Türkei sagt Erdogan, dass Gleichberechtigung «unnatürlich» sei, und aus Russland kommt eine Staatsdoktrin, die alles, was von der Norm abweicht, als krank deklariert und verfolgt.
Für mich ist entscheidende Frage, wie wir uns der Welt gegenüber verhalten wollen, diesem männergeprägten System aus Politik, Wirtschaft und Medien. Ich stelle fest, dass sich vor allem Frauen bewusst davon abwenden, sich dem Guten im Kleinen zuwenden und das auch feministisch oder zumindest mit betont weiblichen Argumenten begründen: Das System ist krank und tut uns nicht gut.
Dieser Ansatz ist lobenswert, untergräbt aber den Feminismus, da er gerade in der heutigen Zeit auch im grossen Ganzen, in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung präsent sein sollte und sich ganz grundsätzlich für eine bessere Welt einsetzen sollte.
Christof Moser, 1979, ist freier Journalist unter anderem bei der «Schweiz am Sonntag» und Redaktionsleiter von infosperber.ch.
Dieser Text erschien im März-Heft von Saiten.