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Go all the way #30
Ein Daheim. Und ein Gast. Und Gäste… Ruth Wili berichtet in ihrem jüngsten Tagebuchbeitrag aus Georgien von der Herausforderung, eine Unterkunft zu finden für sich und ihre Hunde.

Aufgefallen ist es mir beim Fotografieren. Etwas hat sich verändert. Wenn uns Hunde begleiten, versuche ich nicht mehr, nur meine aufs Bild zu kriegen. Ich bin offener geworden. Geniesse die Gemeinschaft, die da ist. Lerne, Ja zu sagen zur Situation, so wie sie ist, anstatt zu versuchen, die fremden Hunde zu Abstand zu bewegen.
Und dann ist auf einem Spaziergang mit Homer, Pluto und Mimi hinter uns ein Strassenhund angefahren worden. Hat geheult vor Schmerzen und ist humpelnd davon, sich verstecken gegangen. Der Fahrer fuhr weiter. Pluto, der so sensitiv auf alle Emotionen reagiert, ist durchgedreht ab dem Heulen, und ich brachte so rasch als möglich meine Hunde heim. Dann habe ich meine Pharmaausläufer gepackt und bin das verletzte Tier suchen gegangen. Ein weisser Hund. Weiss – auf Georgisch Tetri. Did you see tetri dzaghli? Niemand hat den weissen Hund gesehen. Schliesslich fand ich ihn. Versorgte ihn mit Rat von treuer Hilfe über Whatsup so gut als möglich. Versprach ihm, dass er für sein Essen nicht schauen müsse, solange er nicht wieder auf dem Damm sei. Er richtete sich ein unter dem niedrigen, schützenden Vorsprung des Hotelanbaus. Super, hier kann ich ihn gut versorgen.
Parallel dazu mein Trio und das Hotelzimmer: Es ist klar, wir brauchen eine andere Bleibe. Ein Hotelzimmer mit drei Hunden auf unbestimmte Weile: Quark. Auch abgesehen vom Preis. Schaue mir an, was Nato und Asmati vom Info-Büro mir an Kontakten geben. Wir wären gern gesehene Gäste. Zwei Monate – so mein sicheres Bleibe-Gefühl – bedeuten für die Leute wirklich Einkommen hier. Was ich spüre: Ich möchte kochen können. Ich brauche Privatsphäre, «meins». Ich möchte mit den Hunden draussen sitzen können.
Die Bäckersfrau hat einen ausgebauten Dachstock mit Küche und einen Garten. Ich gehe ihn ohne die Tiere anschauen. Ihr Hund begrüsst mich mit Knurren draussen, ohne dass die Besitzer damit umgehen, und ich seh klar: Hier werde ich mit meinen Tieren nicht draussen sitzen können. Das wär ein einziger Spiessrutenlauf. Sie meinen, sie könnten den Hund woanders hinbringen, solange wir hier wohnen. Nichts, was mich als Lösung anspricht. Eine ältere Frau hat ein Ergeschoss, das ich haben könnte. Hühner begrüssen mich im Garten und ich weiss: mit Pluto never. Ihr Vorschlag, die Hühner einfach vorher zu schlachten, da sie eh sukzessive von Schakalen geholt würden, faltet mich innerlich zusammen. Es ist ihr Entscheid, sie zu schlachten. Aber meiner, dass dies nicht wegen uns passiert.
Daheim-Gefühl
Und dann ist da dieses Haus, das am Hang über Qeda thront. Neu saniert. Eigentlich vier Gästezimmer plus grossem gemeinsamem Koch-Wohnbereich. Ein bodenhohes Fenster, das den Blick auf ganz Qeda freigibt, auf Baumgipfelhöhe. Un-fass-bar schön! Ich hab zwei Herzen in meiner Brust. Mit Mimi? Meiner kleinen Räubertochter? Die Zähne wechselt und gerne gerade mal alles anknabbern will, um mitzuhelfen? Zugleich: An dem Tisch an diesem Fenster zu sitzen und zu schreiben… Bleibt die Option, das Hotelzimmer zu Gunsten eines passenderen zu wechseln. Da ist nix mit Draussen-Sitzen. Ich hab gesehen, was Qeda an Möglichkeiten hat, spür, es ist Zeit, zu entscheiden.
Und gerade, als ich dem Hotelier pragmatisch sagen will, dass wir Zimmer wechseln, kommt ein Mann. Er habe gehört, wir suchten eine Bleibe. Er habe eine Wohnung, die er zur Zeit nicht brauche. Erdgeschoss. Mit Balkon. Küche mit Waschmaschine, Bad und zwei Zimmer (eigentlich drei, er würde einfach alles, was von ihnen noch dort sei, ins dritte Zimmer tun). Die Wohnung ist alt, gross und genau so rudimentär vollständig eingerichtet, wie für uns geschaffen. Dazu ein zu uns gehörender Apfelbaum und ein Stück Grün. Woah! Zwei Tage später ziehen wir um. Rums. Wir. Haben. Ein. Daheim.
Ich: Daheim-Gefühl! Das ist Unseres. Wahnsinn! Ich geh «Tetri» suchen und beheimate ihn mit um. Er kann nun mit rein und wird von Grund auf aufgepäppelt. Vier Hunde, Mimi davon gelegentlich noch im Tragtuch. Mir dehnt es die Wahrnehmungsgrenzen. Abgefahren schön! Mal klopft ein Nachbar und lädt mich zum Kaffee ein, dann reicht ein anderer mir unverkauftes Brot durchs Küchenfenster. Für die Hunde. Gehe ich einkaufen, hält sicher irgendein Auto neben mir und ich werd mitgenommen. Irre, wie das Leben uns wieder genau zum richtigen Zeitpunkt mit dem Passenden versorgt hat.
Co-Existieren
Unsere Tage bestehen aus Morgen und Abend. Dazwischen liegt die feuchte Hitze, die die Hunde auf den Plättchenboden drückt, mich schier auch. Selbst zum Baden im Fluss ist es zu warm. Einmal steht am Sonntagmorgen um 6 Uhr, als ich mit den Hunden die erste Runde mache, eine Kuh vor der Wohnungstür. Die Hunde überschlagen sich schier. Aber die Zumutung, so geweckt zu werden, ist hier normal. Was will man machen, wenn die Kühe durchs Wohnhaus spazieren. Man würde niemanden dazu bringen, deswegen die Haustüren geschlossen zu halten. Warum auch? Und so: Wenns regnet, dürfen auch die Strassenhunde im Eingangsbereich drinnen schlafen. Mich berührt dieses Co-Existieren zutiefst. Ich empfinde es als demütig und freundlich. Fühle mich, uns zutiefst willkommen. Was für ein Gefühl nach sovielen Monaten mit der ständigen Herausforderung, die Hunde «durchzusetzen».
Wir können nicht raus, ohne dass ein Pulk von Kindern uns umgibt. Alles dicht voller Leben. Der alte Mann, der wohl kaum Rente hat, der für die kleinen Lädeli und Bars den Müll zu den Containern trägt und dafür jeweils Kaffee kriegt. Der Alkoholiker, der mich gelegentlich von Ferne wüst beschimpft, wenn ich bei Gulo einen Kaffee trinke. Die Männer, die dröge auf dem Dorfplatz rumstehen und mir sagen, die Strassenhunde seien dick genug. Die Frau vom Dorfladen, die mir georgische Gewürze raussucht zum Kochen. Die alten Frauen, die mit ihren Enkelkindern am Abend am Flussbord hocken. Eine kleine, komplette Welt. Einfach und üppig in einem.
Bezüglich «Tetri» ist inzwischen klar, dass ich für ihn ein Daheim finde. Hier, wenn gut, und sonst kiegt er einen Pass und darf dahin, wo er gewollt wird. So ein tolles Tier! Das Bein heilt gut, und als er erst einmal ungezeiferfrei ist und die Haare an den kahlen Stellen nachwachsen, wird er zu einer sanften Schönheit. Wir sind ein richtiges Rudel, wenn wir unterwegs sind. Mit den Tieren von der Strasse, die uns oft ihr Geleit gleich auch noch geben, waren wir letzthin zehnköpfig. Ich habe so ein Gefühl noch nie erlebt. Was für eine Erhabenheit und Fülle. Das geht mir tief rein.
Zuneigung auf den ersten Blick
Mehrmals zeigen Menschen, da «Tetri» nun ein «schöner Hund» geworden ist, Interesse an ihm. Aber entweder erlischt es, wenn ich sage, er sei von hier, von der Strasse, oder aber er ist der letzte all meiner Hunde, den jemand haben möchte, oder aber er wär als Wachhund erwünscht. Ich lehne alles ab. Mein «Du kriegst ein wirkliches Daheim» gilt. Und solange gehört er zu uns. Ich schreibe ein paar Menschen an, die ich mir vorstellen könnte und von denen ich weiss… Ist nix. Auch gut.
Noch geht es nicht um richtig breites Streuen, das spür ich. Und dann sitze ich an einem Tag bei Nato im Infobüro und trinke Kaffee, als ein Pärchen reinkommt. Deutsche Globetrottende. Wir plaudern eine Weile und verbleiben, dass ich ihnen später meine Lieblingsstelle am Fluss zeige, zum Zelten. Sie möchten meine Hunde kennenlernen. Klar doch gern! Und so mache ich mich einige Stunden später mit meiner Rasselbande auf zum Fluss, wo wir uns treffen. Und «Tetri» und Aaron docken aneinander an, als hätte es nie etwas anderes gegeben. Als sich das wiederholt, als wir uns am nächsten Tag wiedersehen, frage ich sie. «Tetris» Ja ist offensichtlich. Aaron hauts schier um. Und keine zehn Stunden später stehen die beiden vor mir und halten um «Tetris» Pfote an. Sagen Ja. Egal, was es mit sich bringen wird, sie wollen sein Daheim werden. Nun bin ich den Tränen nahe. Ich glaube, liebevoller kann das Leben mich nicht lehren, loszulassen…
Und so wächst unsere Gruppe fürs erste nochmal an um Carmen und Aaron, damit alles Nötige erledigt werden kann und «Tetri» sanft an den Abschied herangeführt wird. Ich bin tief glücklich und dankbar. Nato vom Infobüro lacht schallend, als ich ihr vom weiteren Zuwachs erzähle: «Du wirst eine richtig georgische Gastgeberin.» Wenn ich mir eins in den kühnsten Daheim-Träumen nicht hätte ausdenken können, dann, dass «Tetri» selber ein Globetrotter wird.
Ruth Wili, Jahrgang 1981, war bis Ende 2016 als Inspizientin am Theater St.Gallen tätig. Anfang 2017 ist sie aufgebrochen zu einer Fussreise von St.Gallen ans Schwarze Meer. Mit dabei: ihr Hund Homer – sowie Pluto, in Bulgarien zugelaufen, und seit neustem Mimi, Hund Nummer drei. Auf saiten.ch berichtet Ruth Wili, inzwischen angekommen im Sehnsuchtsland Georgien, von ihren Erfahrungen.