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Healthy Lifestyle – Modernes Kalorienzählen
Aus dem Märzheft: Hässig-Kolumnistin Nadja Keusch über das Körperbild, ihren Healthy Lifestyle und was das Cordon-Bleu mit Pommes Frites im Perron Nord damit zu tun hat.

Nadja Keusch, fotografiert von Andri Bösch.
Gesund essen macht Spass. Dazu gehört auch eine bewusste Nahrungsaufnahme. Ich musste in letzter Zeit feststellen, dass ich dem Healthy Lifestyle verfallen bin. Ich ernähre mich gerne gesund, treibe Sport, achte auf meine Figur. Ich habe auf einmal begonnen, Ernährungsratgeber zu lesen. Habe begonnen, mich mit Food Influencern auseinanderzusetzen.
Dabei ist mir folgendes aufgefallen: Entweder influencen Frauen über «gesundes» Abnehmen oder Männer richten sich an Frauen und erklären, wie sie gesund abnehmen können. Es geht dabei aber nicht darum, wie man sich ausgewogen und gesund ernährt, sondern wie man seinen Körper besser der Norm – die gesellschaftlich auf dünn beruht – anpassen kann. Alles was nicht dieser Norm entspricht, ist ungesund.
Unverträglichkeiten wie Laktoseintoleranz und Glutenallergie werden gehypt. Kalorien zählen ist gesellschaftlich akzeptiert, da es einem ja zu einem gesünderen Körper verhilft. Auf einmal sind wir alle Profiköche, ohne jemals für einen Migros-Klubschul-Kochkurs bezahlt zu haben. Und über einen von uns selbst ausgestellten Ernährungstherapeuten-Abschluss verfügen wir auch, denn wir können anderen sagen,was gesund und was ungesund ist.
Wir sind auf einmal alle Marathonläufer, denn kollektiver Sport und gegenseitiges Messen turnt uns an. Und nicht zu vergessen dabei ist der Umweltschutz. Wehe, in unserem Kühlschrank stehen Produkte, die nicht bio sind.
Dass wir mit diesem Wohlfühlkonsum bei vielen Arbeitenden ohne ausreichenden Lohn ein schlechtes Gewissen auslösen könnten, weil sie in erster Linie erst sich oder ihre Familie ernähren müssen, bevor sie an ihren ökologischen Fussabdruck denken können, vergessen wir dabei. Wenn ich mir aber vor jedem Essen die Gedanken mache, ob das nun gesund ist oder nicht, und wie viel ich davon essen darf, und ob ich das überhaupt essen darf, dann ist dies kein psychologisch gesundes Essen.
Ich möchte mich nicht schlecht fühlen müssen, dass ich im Perron Nord ein Cordon-Bleu mit Pommes Frites gegessen habe. Ich bin auch nicht automatisch unsportlicher, nur weil ich nicht über einen Runway-Body verfüge. Gesund und frisch essen bedeutet nicht, sich nur noch von Gemüse, Früchten und Dinkelnudeln zu ernähren.
Gesund leben heisst nicht, das zu tun, was uns in sozialen Medien vorgeschrieben wird. Gesund ist für alle Individuen unterschiedlich.
Nadia Keusch, 1994, arbeitet Vollzeit und beschäftigt sich in ihrer Freizeit gerne bei einem Glas Rotwein mit gesellschaftlichen Niedergängen. Sie plant gerne das Auswandern, zieht es aber nie durch. Sie lebt in St.Gallen und schreibt die Hässig-Kolumne in Saiten.
Dieser Text erschien im Märzheft von Saiten.